Darf man das noch sagen?

Als Kind machte unser Leser Urlaub auf einer Insel im ehemaligen Jugoslawien. Das Land gibt es heute nicht mehr. Ist es okay, wenn er bei der Beschreibung seiner Erinnerungen dennoch den alten Namen verwendet?

Illustration: Serge Bloch

»In meiner Kindheit und Jugend in den Siebziger- und Achtzigerjahren war ich häufig auf einer Insel in ›Jugoslawien‹ beziehungsweise dem heutigen Kroatien. Immer am selben Ort, mit hoher emotionaler Bindung zu diesem Ort. Seit dem Krieg war ich nie wieder in dieser Region. Ist es legitim, wenn ich, solange ich mich auf Erinnerungen aus dieser Zeit beziehe, den Begriff ›Jugoslawien‹ verwende? Oder ist das politisch unkorrekt oder eine Brüskierung für alle aus dieser Region?« 
Anonym, per Mail

Es ist wahnsinnig süß, wie umsichtig Sie in dieser Angelegenheit sind. Denn es stimmt ja – wo Sie einst Ferien gemacht haben, herrschten unterschwellig, von Ihnen unbemerkt, Spannungen, die sich später in einem Krieg entluden, der dazu führte, dass das Land Jugoslawien heute nicht mehr existiert. Damals aber existierte es. Sie haben im damaligen Jugoslawien Urlaub gemacht. Oder auch: im ehemaligen Jugoslawien. Ehrlich gesagt haben Sie damals sogar in Jugos­lawien Urlaub gemacht, aber wenn Sie heutigen Zeitgenossen signalisieren möchten, dass Sie darum wissen, was in den Jahren danach in dieser Region geschah, täten Sie bestimmt nicht falsch daran, wie im Satz zuvor gezeigt, ein »damalig« oder »ehemalig« als Adjektiv beizufügen. Falls Sie in der BRD aufgewachsen sind, die man genauso gut heute als ehemalige BRD bezeichnen könnte, aber nicht müsste, könnten Sie sich zur Veranschaulichung die DDR, alias ehema­lige DDR, als Beispiel heranziehen. In der DDR war etwa Die Legende von Paul und Paula ein sehr erfolgreicher Film. Er war auch, aus heutiger Perspektive, in der ehemaligen DDR ein sehr erfolgreicher Film, aber das bezieht bereits die Perspektive mit ein, aus der hier gesprochen wird. Dennoch ist beides richtig.

Um auf Nummer sicher zu gehen, dass Sie auch ja vor niemandem dastehen, als ­negierten Sie die Geschehnisse seit 1991 oder wollten sie revidieren, würde man ­Ihnen wohl vorschlagen, einfach immer ein »ehemalig« oder »damalig« anzufügen, wenn Sie von dem Land erzählen, in dem Sie als Kind so gern Urlaub gemacht haben. Genauso richtig wäre natürlich, »im heutigen Kroatien« zu sagen, wobei auch hier die geschichtliche Konnotation mitscheint ­(etwas war und ist nicht mehr), aber da Sie von ­einer hohen emotionalen Bindung schreiben, was Ihre Urlaube im damaligen Jugoslawien angeht, würde ich es genau so nennen.