»Ich denke oft, ich könne kaum Gitarre spielen«

Im Interview kokettiert Pat Metheny mit seinen Fähigkeiten als Instrumentalist, gratuliert Jazzgröße Ornette Coleman zum Geburtstag und berichtet von einem Rundgang durch die Kirche von Johann Sebastian Bach.

Pat Metheny vor seinem »Orchestrion«, einer für ihn angefertigten Musikmaschine.

Foto: Jimmy Katz

Am Dienstag habe ich mit Pat Metheny telefoniert. Da das zufälligerweise der Geburtstag Ornette Colemans war, der 1986 zusammen mit Pat Metheny ein Album eingespielt hat, lag für mich auf der Hand, womit das Gespräch beginnen sollte. Pat Metheny war gerade in Frankfurt, wo er am Mittwoch dieser Woche auftritt. Am Donnerstag spielt er dann noch in Baden-Baden. Auf der Bühne präsentiert er sein Orchestrion; so auch der Titel seines kürzlich bei Nonesuch erschienenen Albums.

Pat Metheny, heute ist der 80. Geburtstag von Ornette Coleman. Sie haben mehrmals mit ihm zusammengespielt. Sagen Sie ein paar Worte über diesen großen Mann!
Bevor man über seine Musik spricht, ist es wichtig zu wissen, was für ein warmherziger, guter Mensch er ist! Sein Charakter ist die Quelle, aus der alles kommt. Ich bin froh und dankbar, ihn zu kennen und mit ihm gespielt zu haben. Immer, wenn ich ihn treffe, ist es ein besonderer Moment für mich.

Schon auf Ihrem Debütalbum im Jahr 1976 haben Sie ein Stück von Ornette Coleman gespielt. Er hat Sie schon sehr früh beeinflusst.
Damals waren mir die ganzen Kontroversen um seine Musik gar nicht bewusst; ich habe davon erst später gelesen. Wenn ich mir damals seine Platten angehört habe, hatte ich vor allem den Eindruck, dass er und seine Musiker bei den Aufnahmen jede Menge Spaß hatten. Das hat mich angesprochen.

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Für viele Menschen geht es in Colemans Musik eher um tiefere, kantigere Gefühle.
Ich finde, man kann die Ideen der improvisierten Musik nicht auf einer linguistische Ebene abhandeln. Natürlich gibt es Unterschiede, ob man etwas von Ornette spielt oder einen Standard, ob man in einer Gruppe spielt oder solo. Aber selbst wenn man all diese Aspekte versteht, gibt das einem noch nicht den Schlüssel zur Flüssigkeit beim Improvisieren.

Hat Ornette Coleman inzwischen den Respekt bekommen, den er verdient? Wer kriegt den schon? Wahrscheinlich kaum jemand! Aber er hat inzwischen viel Anerkennung bekommen. Vor allem lebt er noch und kann diesen Respekt persönlich entgegen nehmen. Dass er 2007 den Pulitzer-Preis erhielt, war eine große Sache – mehr Mainstream geht eigentlich nicht. Wenn man bedenkt, in was für einer Kultur wir leben, und dass er mit seiner Musik einen wirklich ungewöhnlichen Weg beschritten hat, muss man wohl sagen, dass es bei ihm so gut lief, wie es eben ging. Er hat es geschafft, sein Ding zu machen. Was will man mehr?

Wie sehen Sie im Moment die Situation der musikalischen Avantgarde? Sind die Leute neugierig auf ungewöhnliche Klänge?
Ein bis zwei Prozent der Bevölkerung sind dafür empfänglich. Das war schon immer so, es scheint fast ein Naturgesetz zu sein. Denken Sie doch mal an Bach. Ich war in seiner Kirche in Leipzig –

–wirklich? In der Thomas-Kirche?
Klar. Die besuche ich immer, wenn ich Gelegenheit dazu habe! Wissen Sie, wir meckern immer über unsere Kultur und klagen, alles sei so schwierig. Aber denken Sie mal zu Bach zurück: Damals kamen ein paar hundert Menschen in seine Kirche. Glauben Sie wirklich, dass unter diesen Leuten mehr als zehn oder fünfzehn waren, die verstanden haben, dass sie gerade die großartigste Musik hören, die irgendjemand jemals komponiert hat? Wahrscheinlich nicht! Ich vermute, die Leute haben eher an ihre kaputten Zähne und ihre kalten Wohnungen gedacht. Dennoch ließ Bach sich nicht davon abhalten, die großartigste Musik aller Zeiten zu komponieren. Ich fände es toll, wenn jeder wüsste, wer Ornette Coleman ist, aber so war es schon immer: Nur ein kleiner Prozentsatz von Leuten ist hip. Vielleicht ist es in tausend jahren hip, hip zu sein. Heute ist es das nicht.

»Mit seiner Gitarre muss man viel Zeit verbringen. Wenn Sie sechs oder sieben Stunden am Tag üben, und das fünf bis zehn Jahre lang, dann können Sie anfangen, darüber zu reden«

Sie sind seit Ende Februar in Deutschland auf Tour. Wie läuft’s?
Die Deutschen haben eine analytische Art, sich mit den Dingen zu beschäftigen. Das mag ich sehr. Bei meiner Orchestrion-Tour ist das besonders faszinierend. Die Leute sind sehr neugierig: Nach jedem Konzert stehen 50 Menschen vor der Bühne und betrachten meine Instrumente. Es passt alles – auch deshalb, weil das Orchestrion einst hier erfunden wurde.

Das müssen wir kurz erklären: Sie touren gerade mit einem Orchestrion, also einem aus mechanischen Musikinstrumenten zusammengestellten, automatischen Orchester. Das Orchestrion wurde im 19. Jahrhundert im Schwarzwald erfunden, Ihre Instrumente wurden jedoch extra für Sie neu angefertigt.
Besser kann ich es auch nicht sagen.

Hat es Sie gereizt, dass Ihre Tour damit ein besonderes visuelles Element bekommt?
Das war nicht entscheidend für mich. Ich stand vor zwei Herausforderungen: eine Platte zu machen und das Ganze auf die Bühne zu bringen. Mir war immer klar, dass die Platte schwieriger sein würde als die Konzerte: Auf der Bühne sehen die Leute, was passiert, und das ist in diesem Fall ungewöhnlich. Jede Nacht staunen die Leute also zehn oder fünfzehn Minuten lang. Aber danach sollte die Musik einfach ziemlich gut sein. Wenn nicht gar besser als sonst.

Ich habe einiges darüber gelesen, aber immer noch nicht genau verstanden, wie das Orchestrion funktioniert.
Ehrlich gesagt: Es dauert eine Stunde, das wirklich zu erklären. Die Grundidee ist folgende: Beim Komponieren fürs Orchestrion erstelle ich ein Skript, eine Abfolge von Instruktionen. Diese Instruktionen können nun von mir auf viele, viele Arten verändert werden, direkt auf der Bühne. Ich kann das Tempo ändern, die Lautstärke, die Länge von bestimmten Passagen. Ich kann auch – und hier wird es kompliziert – rückwirkend in die Stücke eingreifen. Als Performer ist das für mich eine Erfahrung in 3-D.

Sie sind als Gitarrenvirtuose bekannt. Ist es eigentlich schwieriger, Musik zu machen, wenn man prinzipiell alles spielen kann?
Ich habe ein ganz anderes Bild von meinen Fähigkeiten: Ich denke oft, ich könne kaum Gitarre spielen. Wenn ich Leute sehe, die wirklich spielen können, beeindruckt mich das sehr.

Wer sind diese gigantischen Virtuosen?
Paco de Lucia. Oder Allan Holdsworth. Die können wirklich spielen. Ich denke nicht so viel über die Gitarre nach. Ich weiß nur, wie ich meine Ideen umsetzen kann. Mir geht es in erster Linie um Ideen, nicht um die Beherrschung des Instruments. Aber gut, ich spiele nun schon 40 Jahre und bin inzwischen auf eine Weise mit meiner Gitarre befreundet, wie ich es früher nicht war, keine Frage. Aber ich gucke sie immer noch an und denke, jetzt mache ich – was eigentlich?

Zum Schluss noch eine Frage, die ich allen Gitarristen stelle, mit denen ich spreche. Ich habe kürzlich selbst angefangen zu spielen. Was raten Sie mir?
Es ist leicht, ein paar Griffe zu lernen, aber ziemlich schwierig, die Gitarre wirklich zu verstehen. Da gibt es Besonderheiten bei der Koordinierung der rechten und linken Hand, die es schwierig machen, eine bestimmte musikalische Genauigkeit zu erreichen. Mit seiner Gitarre muss man viel Zeit verbringen. Wenn Sie sechs oder sieben Stunden am Tag üben, und das fünf bis zehn Jahre lang, dann können Sie anfangen, darüber zu reden.

Au weia. Dann müsste ich meinen Job aufgeben!
Das wäre es wert. Die Freude eines Daseins als Musiker wird Ihre Trauer über den verlorenen Job schnell wettmachen.