SZ-Magazin: Frau Meckseper, das Tolle am Künstlerdasein ist, dass man auch sinnlose Dinge tun darf, haben Sie einmal gesagt. Erklärt das auch Ihre Kunst?
Josephine Meckseper: Nein, meine Kunst ist eher theoretisch.
Meine Arbeit ist verschlüsselt, und es gibt auch unterschiedliche Zugänge, allerdings keine Formel, mit der jeder sie enträtseln könnte.
Dabei gelten Sie als Konzeptkünstlerin.
Das heißt vor allem, dass eine Idee im Vordergrund steht, ob sie nun politisch, philosophisch oder literarisch ist.
Verstehen Sie Ihre eigenen Ideen immer?
Die Ideen sind meist sehr klar, da sie auf realen Geschehnissen und Beobachtungen beruhen. Das sich aus ihnen erschließende Konzept entwickelt jedoch oft eine Eigendynamik, die von der ursprünglichen Idee abweichen kann.
Das heißt, Intuition spielt bei Ihren Collagen und Installationen auch eine große Rolle?
Gespür ist wichtig, so wie Humor, aber mir geht es vor allem um das Experimentelle. Wenn ich genau wüsste, was ich da mache, würde mich die Arbeit viel zu sehr langweilen. Das Ergebnis darf nicht absehbar sein, ich versuche stets, mich selbst zu überraschen.
Sie wollen nicht in erster Linie das Publikum überraschen?
Nein, ich interessiere mich zwar durchaus dafür, wie meine Arbeiten wahr- und aufgenommen werden, aber ich spekuliere nicht darauf. Die Reaktion des Publikums kann ich schlecht einschätzen.
Kritik oder Unverständnis verunsichert Sie gar nicht?
Doch, natürlich. Aber es gibt immer positive und negative Stimmen, auch völliges Unverständnis. Es gibt einfach keine Kunst, die immer richtig verstanden werden kann. Wer verstanden werden will, sollte in die Werbung oder Politik gehen, aber nicht Künstler werden.
Reden Künstler deswegen so ungern über ihre Arbeit?
Das ist wohl bei jedem anders. Für das Verständnis von manchen Kunstwerken kann ein einzelner Gedanke, eine Botschaft des Künstlers sehr wichtig sein. Andere Künstler arbeiten rein intuitiv und können gar nicht darüber reden. Amerikaner reden gern und viel über ihre Arbeit, die können stundenlange Monologe halten, ohne Punkt und Komma. Deutsche Männer, die Künstler sind, wiederum geben selten Interviews, denn in Deutschland gilt es als eher uncool, seine eigenen Arbeiten zu beschreiben. Das kommt leicht so rüber, als wolle man sich in Szene setzen. Und darüber hinaus gehen Künstler oft davon aus, dass jedes Kunstwerk für sich stehen sollte und man es niemals totreden darf, weil bei jeder Übersetzung vom Visuellen in Sprache ja etwas verloren gehen könnte. Man versucht also, einen Mittelweg zu finden. Sie gehören doch auch eher zu denen, die sich nicht leicht damit tun, über ihre Kunst zu reden. Warum tun Sie es dennoch gelegentlich?
Weil es zu einfach erscheint, sich hinter seiner Arbeit zu verstecken.
Dürfen wir jetzt einmal raten, was Ihr Werk bedeuten könnte?
Gern.
Ihre Collage zeigt ein modernes Triptychon.
Richtig.
Sie gelten als kapitalismus- und konsumkritisch – zeigt Ihr Triptychon die Götzen der Moderne: Sex, Kapitalismus, Krieg?
So in etwa. Ich beschäftige mich schon eine Zeit lang mit der Rhetorik der US-Medien in den Achtzigerjahren, ich arbeite gerade auch an einer Filmcollage, in der ich verschiedene Fernsehserien aus dieser Zeit behandle.
Deswegen die Streifen auf der Frau? Eine Anspielung auf den Vorspann der amerikanischen Fernsehserie Denver Clan?
Ja. Das Bild der Frau stammt von einem Werbeplakat, das hier in Chelsea eine Weile überall herumhing, die Streifen habe ich darübergelegt.
Die abgebildete Frau symbolisiert die Hoffnung?
Ich setze meine Hoffnung auf die Menschen im Allgemeinen. In Krisenzeiten rücken alle Menschen zusammen. So wie ich das auch am 11. September erlebt habe. Vom Menschen erhoffe ich mir auf jeden Fall mehr als von der Religion.
Das Foto rechts auf Ihrer Collage, das Hochhaus – stammt die Aufnahme auch aus Denver Clan?
Nein, aber so ein ähnliches taucht wohl darin auf – ich habe die Serie selbst nie gesehen. Das Haus auf der Collage habe ich irgendwann einmal in New York fotografiert.
Ein Bankgebäude?
Vielleicht. Aber ich kann mich nicht mehr erinnern, wo es genau steht und welche Büros sich darin befinden.
Den Düsenjäger haben Sie nicht selbst fotografiert?
Nein, den habe ich gefunden. Im Internet. Die Berge darunter sind wahrscheinlich die Rocky Mountains.
(Was Künstlerin Josephine Meckseper während ihrer Kindheit in Worpswede erlebte und warum das Leben in New York gar nicht so sehr anders ist, erzählt sie auf der nächsten Seite.)
Warum interessieren Sie sich 2010 für die Achtzigerjahre?
Ich finde viele Parallelen aus dieser Zeit zur aktuellen Politik: Die Thematik Öl und Mittlerer Osten ist heute genauso wichtig wie früher. Ich bin in den Siebzigerjahren aufgewachsen, einer eher liberalen Zeit, die von den Hippies geprägt war; der Kalte Krieg war noch nicht so dominant, es gab mehr Hoffnung damals.
Warum verspüren Sie heute so wenig Hoffnung?
Hoffnung ist für mich ein dubioser Begriff, weil er religiös eingefärbt ist. Ich bin ihm gegenüber skeptisch. Mit Hoffnung ist immer auch etwas Trügerisches oder Manipulatives verbunden.
Ihre Kunst wurde oft aggressiv genannt.
Es geht in einigen meiner Arbeiten um die Darstellung von Aggression, wie z. B. die der Bush-Ära. Ich ließ für eine Ausstellung im Migros Museum in Zürich riesige Ölbohrtürme und einen Militärbunker bauen. Dazu zeigte ich ein Video, das ich aus militärisch anmutenden amerikanischen Auto-Werbespots zusammengeschnitten hatte.
Sind Sie Optimistin?
Seltsamerweise ja, obwohl mich viele für eine Pessimistin halten, wegen meiner gesellschaftskritischen Arbeit. Aber ich glaube daran, dass man die Menschheit aufklären kann, dass es Fortschritt im Denken gibt. Ich glaube an die Aufklärung.
Hat Ihr Interesse an gesellschaftspolitischen Themen wie Krieg, Konsum und Ölkrise mit Ihrer Kindheit in Worpswede zu tun?
Als Kind hatte ich die Möglichkeit, alles künstlerisch auszudrücken, in welcher Form auch immer. Ich habe mich nie eigens für die Kunst entschieden, Kunst gehörte von Anfang an zu meinem normalen Alltag und Lebensverständnis. Das politische Engagement meiner Eltern hat mich indirekt auch geprägt. Mein Vater war mit Gerhard Schröder befreundet, aber im Grunde ein Anarchist, der sich nie parteipolitisch engagiert hat, anders als meine Mutter, die ganz früh zu den Grünen ging. Oder mein Onkel, der immer noch DKP-Mitglied ist. Meine Tante war mit Ulrike Meinhof befreundet und ganz frühe RAF-Sympathisantin, noch zu Zeiten der ersten Generation der RAF hat sie Unterkünfte für sie besorgt. Als Teenager habe ich dann auch kurz von einem Leben im Untergrund geschwärmt. Obwohl ich gar nicht genau wusste, was das bedeutet, aber der Lebensstil gefiel mir. Ich sah es als eine konkrete Möglichkeit. Meine Kindheit war jedenfalls sehr vielseitig.
Sie wuchsen in der Künstleridylle Worpswede auf und leben nun seit zwanzig Jahren in New York – ein größerer Gegensatz ist kaum denkbar.
Ich empfinde das gar nicht so. Worpswede nahm ich gar nicht so idyllisch wahr, und New York scheint mir gar nicht mehr so dreckig und heruntergekommen wie noch vor zwanzig Jahren, als ich nach meinem Studium in Los Angeles herzog.
Mit der Kirche hatten Sie nie Berührungspunkte?
Meine Eltern sind Atheisten. Kinder aus der Nachbarschaft nahmen mich einmal mit in die Kirche, da war ich fünf Jahre alt und empfand schon einen gewissen Zauber, ich verstand natürlich kein Wort von dem, was gesagt wurde. Meine Eltern lachten darüber und sagten, ich solle nicht alles kritiklos glauben, was dort erzählt wird.
Haben Sie das Motiv eines Triptychons in Ihrer Arbeit schon einmal benutzt?
Nein, aber ich habe es tatsächlich schon im Kopf gehabt, kurz bevor Sie mich fragten, ob ich nicht Lust hätte, mir etwas zum Thema »Hoffnung« einfallen zu lassen. Ich arbeite oft mit Schaufensterbildern in meinen Installationen, in gewisser Weise ist auch jedes Triptychon ein Schaufenster.
Finden Sie Erlösung in der Kunst?
Kunst zu machen bedeutet für mich etwas Befreiendes. Kunst ist eine der wenigen Beschäftigungen, bei denen man relativ frei ist, das zu machen, was man will, ohne dass irgendjemand einem reinreden kann.
Auf Erlösung im christlichen Sinne hoffen Sie jedenfalls nicht?
Erlösung setzt ja voraus, dass man von irgendetwas erlöst werden will, von einer Qual, einem Problem, einem Leid. Ich bin gesund, mein Freund ist es auch. Ich muss nicht erlöst werden von meinem Dasein. Mir geht es gut. Ich verzweifle manchmal an der Welt, aber grundsätzlich komme ich mit der Wirklichkeit, so wie sie sich mir darstellt, zurecht. Ich brauche keine Vision, keine Utopie, kein Leben nach dem Tod. Nach dem Tod wird es nicht anders sein, als es vor unserer Geburt war: Es ist. Ganz einfach. Weder gut noch schlecht. Der Tod hat für mich nichts Beängstigendes. Wenn das Leben so weitergeht wie bisher, bin ich glücklich. Es gibt aber durchaus spirituelle Momente in meinem Leben: Wenn ich im Frühling das erste Mal wieder die Vögel zwitschern höre, das ist ein Augenblick für mich, in dem ich nicht unbedingt glaube, aber einfach Zuversicht schöpfe.
Foto: Gunter Kloetzer / Laif