Trümmer einer Jugend

Letzte Woche ist das Tanzlokal »Rosi« in Bayreuth abgebrannt. Unser Autor hat dort als Jugendlicher viele Nächte getanzt, getrunken und geknutscht. Eine Liebeserklärung an die Kleinstadtdisco.

Foto: Flo_MarcelH./photocase.de

Da wäre der Geruch nach Schweiß und der Geschmack von warmem Bier, schal geworden durch das Schwappen in der Flasche beim Tanzen. Da wäre das Kondenswasser, das von der Decke tropft, der klebrige Boden, die nassen Rücken der Gäste, die Luft mit der Temperatur einer gut durchbluteten Herzkammer. Da wären die Discokugeln, die sich über den Köpfen der Leute drehen, ein Freund sagte immer, sie erinnern ihn an die Monde eines fremden Planeten, aber er hatte dann immer schon sehr viel getrunken. Und mehr als einmal waren wir sicher, dass der DJ hinter dem Mischpult einfach zwei heimlich vorgebrannte Mix-CDs durchlaufen lässt, weil auf »Bailando« immer »Westerland« von den Ärzten folgte und der Übergang immer auf eine verdächtig gleiche Art schiefging. Der Rausschmeißer war immer New York, New York von Frank Sinatra. Das sind die Zutaten, aus denen ein Abend in der Rosenau bestand, aber originalgetreu nachbauen ließe er sich damit trotzdem nicht.

Etwas Entscheidendes würde fehlen. Die Rosenau in Bayreuth war eine Disco, wie es in jeder Stadt und jedem Leben mindestens eine gibt. Wobei: »Disco« passt nicht richtig auf das, was da passierte. »Club«, »Lounge« oder »Bar« sind nicht besser, am ehesten trifft es die Bezeichnung, die der Laden trug, als er gegründet wurde: Tanzlokal. Vergnügungsstätte. Die Bayreuther nannten sie einfach »Rosi«. Und es fühlt sich falsch an, in der Vergangenheitsform über diesen Ort zu sprechen, an dem nie etwas zählte außer das Hier und Jetzt. Aber es geht nicht anders, übrig geblieben ist nur die Vergangenheit, alles andere ist in Rauch aufgegangen: Letzte Woche ist sie abgebrannt.

Und obwohl ich bestimmt zehn Jahre nicht dort war, vermutlich länger, fehlt sie mir sehr. Wahrscheinlich, weil die Gäste in der Rosi zwar vieles zum ersten Mal in ihrem Leben taten: tanzen, abstürzen, mit Leuten knutschen, ohne deren Namen zu kennen. Aber definierte letzte Male, Abschiede, die waren hier nicht vorgesehen. Man ging einfach, und früher oder später landete man eh wieder hier.

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Tagsüber lag sie unscheinbar am Straßenrand, geduckt hinter einem nicht besonders schönen Parkplatz. Eine Backsteinfassade, mit wildem Wein bewachsen. Vorn ein weißes Eingangsportal, darauf in silbernen Lettern: Saalbau Rosenau, und eine Jahreszahl: 1925. Die Fassade steht noch, dahinter ist alles weg.

Bei der Party am Abend hätte ein Fahrrad verlost werden sollen, dafür war ein Überraschungs-Indoor-Feuerwerk geplant. Und besser kann man die Disco nicht charakterisieren, als sie es hier selbst tut: als ein Laden, in dem bei Partys auf der Tanzfläche Fahrräder verlost werden, mit Überraschungsfeuerwerk. Bei den Vorbereitungen am Nachmittag entkam ein Knallkörper in einen Lüftungsschacht, das Gebäude brannte komplett ab.

Die Löscharbeiten letzte Woche in Bayreuth

Es gab in der Stadt und im Umkreis immer auch andere Diskotheken und Bars und Clubs, die meisten versuchten, möglichst glamourös sein. Andere waren Spelunken, und wieder andere verstanden es als Kompliment, wenn man über sie sagte, dass dort in erster Linie ganz große Bauern hingehen. Die Rosenau, mitten im Stadtzentrum, wollte nicht irgendwie sein: Hier gab es donnerstags die Uni-Fete, freitags die Kollegstufen-Party, samstags auch irgendwas, egal, die Leute waren eh immer die gleichen. Das machte die Nächte so groß: dass sie zwar irgendwann aufhörten, aber nie zu Ende waren. Weil es, bis vergangene Woche, immer ein nächstes Mal gab.

Die Nachbarn hatten sich damit abgefunden. Dem Vernehmen nach laufen schon die ersten Unterschriftenaktionen, den Laden bloß nicht wiederaufzubauen. Und einen größeren Erfolgsbeweis für die Verdienste der vergangenen Jahre gibt es nicht. Die Leistung der »Rosi« war es, zu vereinen: Frauen und Männer und alle, die es werden wollten. Menschen, die sich zu Musik bewegen können, und andere, die es trotzdem taten. Menschen, die einfach nur feiern und tanzen wollten, andere, für die der Abend als verloren gelten würde, wenn sie hier und heute nicht die Person finden, die sie mindestens für die nächsten Wochen für die Liebe ihres Lebens halten, oder wenigstens jemanden für heute zum Knutschen. Leute, die den Laden liebten, und andere, die ihn heimlich verachteten, die hier nur feierten, weil gerade wirklich nichts anderes da war, weil sie eben gerade nirgendwo anders sein konnten.

Man konnte dort Sehnsucht lernen – nach anderen Orten, größeren Partys, aufregenderen Nächten – ohne zu ahnen, dass es nicht besser wird, weil das hier schon das Beste ist, was es gibt, man weiß es nur noch nicht. Eine Sehnsucht, wie man sie nur in Kleinstadtdiscos spüren kann. Jeder Abend war ein Versprechen, nie löste es sich ein, aber das war nur ein neuer Antrieb, wieder loszuziehen in der Hoffnung, dass es vielleicht diesmal so weit sein würde. Und alles dafür zu geben, oder doch wenigstens ziemlich viel. Eigentlich ein Wunder, dass die »Rosi«, die jetzt durch einen Knallkörper erledigt wurde, vorher so viele Exzesse problemlos weggesteckt hat.

»If I can make it there, I'm gonna make it anywhere«, lautet eine berühmte Zeile in Sinatras New York, New York, dem Rausschmeißer. Wenn ich es hier schaffen kann, kann ich es überall schaffen. Was, spielte keine Rolle, wo, auch nicht. Wichtig war: Man fühlte sich durch den Abend hier in jedem Fall vorbereitet.