Im Frühjahr 2006 ging die Geschichte vom schwarzen Schwan Peter aus Münster um die Welt. Dieser Schwan lebte auf einem See namens Aasee. Der See wurde in den Zwanziger- und Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts künstlich angelegt. Er heißt Aasee, weil er von einem Fluss namens Aa durchflossen wird, der Münsterschen Aa, genauer gesagt, ein Nebenfluss der Ems. Ursprünglich hieß der See sogar Aaasee, sein Rating wurde aber von Standard & Poor’s auf Aa herabgesetzt.
Was den schwarzen Schwan angeht: Er verliebte sich in ein großes weißes, schwanenhaft geformtes Tretboot. »Der schwarze Peter«, wie das Tier bald vom, wie immer, außerordentlich witzigen Volksmund genannt wurde, wich dem Tretboot nicht mehr von der Seite, er folgte ihm im Winter sogar in den Allwetterzoo Münster; die Liebe ließ auch nicht nach, als man feststellte, Peter sei in Wahrheit ein weiblicher Schwan, er müsse Petra heißen, vielleicht sogar (dies entstammt aber nicht dem Volksmund) Petraa, der Schwaan vom Aasee. Erst drei Jahre später, im Jahr 2009, verschwand er vom See, wer weiß, wohin?
Nun haben wir hier ein Foto des Lesers Leif Yngborn. Leif Yngborn hat an der Weihnachtsaktion des SZ-Magazins teilgenommen; er hat gewonnen. Worin genau besteht der Gewinn Leif Yngborns? Er könne, war ihm zugesagt worden, dem Magazin ein Foto schicken, und ich würde mich in der Kolumne damit beschäftigen, selbst wenn es sich nur um die Ablichtung eines angebissenen Weihnachtskekses in Yngborns Schreibtischschublade handelte.
Wir sehen aber auf seinem Bild Dramatisches: einen gestürzten, anscheinend toten, jedenfalls im Sterben befindlichen Dinosaurier, einen von der Fleisch fressenden Sorte, wie mir scheint, ein Tyrannosaurus vielleicht gar. Ein gefährlicher Riese. Gleich neben ihm erkennt man, wie ein Baumstumpf aus dem Boden ragend, ein abgebrochenes Saurierbein. Das Tier ist also, aus welchen Gründen auch immer, schwer verletzt worden. Liegt da nicht, halb verdeckt, eine weitere Saurierleiche? Ja, könnten zwei sein.
Links hinter dem Kadaver aber erblicken wir – und nun wird es spannend – zwei Schwäne, keine schwarzen, auch keine lebenden, sondern weiße Tretbootschwäne, wiederum hinter ihnen zwei weitere schlichte, ungeschwante Tretboote.
Das Interessante an den Bootsschwänen ist, wie sie den Saurier betrachten: direkt, ungerührt, augenlos, der Blick hinter schwarzen Masken verborgen. Ich sollte erwähnen, dass Leif Yngborn noch weitere Bilder geschickt hat: ein marmorner Engel auf einem Friedhof, vor dem eine halb gerauchte Gauloise abgelegt ist; ein alter, halb entrindeter Baum, an den ein Schild »Rudi-Völler-Straße« genagelt ist; ein Pick-up, dessen hintere Aufschrift »Volkswagen« in »Das Volk wagt nix« verändert wurde. Ich betrachte die Bilder seit Tagen, sie sind wie Sequenzen eines wirren Traumes. Müde versuche ich, ihnen einen Sinn zu geben.
Es ist schwer, aber es lässt mich nicht los.
Spätestens beim Anblick der weißen Maskenschwäne kommen einem die Ereignisse vom Aasee in den Sinn: der verliebte schwarze Schwan und der große weiße Tretbootvogel, der nie auch nur das geringste Gefühl erkennen ließ. Der sich von dieser Petra regungslos umturteln ließ. Hier sehen wir ihn, den Schwan mit der Maske, kalt auf ein zu Tode gehetztes Monster blickend, mit einem weiteren seiner Art, vor leeren Zuschauerbänken, einsam, aber voller Mut, jedoch selbst gestrandet im Wald. Seine Gedanken galten nie Petra, sie galten seiner Mission. Dem Schutz Münsters vor urzeitlicher Gefahr.
Der Asphalt im Vordergrund: die Rudi-Völler-Straße? Die Gauloise – war es dieser coole Schwan, der sie rauchte? Wird gleich der Pick-up die Schwäne wieder zum Aasee bringen? Das Volk wagt nix, ja, mag sein, mag sein. Aber unterschätzt die Tretbootschwäne nicht!
Illustration: Dirk Schmidt Fotos: Leif Yngborn