In diesen Tagen und Wochen brechen wieder viele Menschen in den Urlaub auf. Jedoch hat der liebe Gott vor diesen Urlaub die Fahrt in den Urlaub gesetzt, und diese Fahrt ist oft begleitet von vielen Fragen, die dem Fahrer von seinen Beifahrern und Hintersassen, ja, schließlich sogar vom Leben gestellt werden.
Warum stehen wir jetzt schon wieder im Stau?
Sie hatten doch vorhin im Radio auf den Stau hingewiesen, warum hast du nicht die Landstraße genommen?
Der Stau scheint ja gar nicht so schlimm zu sein, warum stehen wir jetzt auf dieser Landstraße herum?
Warum hast du so schlechte Laune, wenn wir endlich mal in den Urlaub fahren?
Wann sind wir endlich da?
Wann sind wir wieder daheim?
Mit all diesen Fragen ist es im Grunde wie mit den jährlich wiederkehrenden Weihnachtsfesten: Man weiß, dass sie kommen, aber man ist trotzdem immer wieder schlecht darauf vorbereitet. Doch habe ich nun von einem Videospiel namens Desert Bus gehört, das 1995 entstand und niemals veröffentlicht wurde, erfunden von Penn & Teller, das sind zwei amerikanische Zauberer, Illusionisten und Komiker, von denen der eine Penn Jilette heißt, der andere einfach nur Teller, das ist sein gesetzlicher Name, einen Vornamen hat er nicht. (Er hieß mal Raymond Joseph Teller, aber »Raymond Joseph« hat er streichen lassen, in Amerika ist das anscheinend möglich. Vielleicht kommt es in Deutschland auch mal so weit, wenn San Diego Franjo Pooth erst prozessfähig ist.)
In Desert Bus, dem Wüstenbus, geht es darum, einen Bus von Tucson/Arizona nach Las Vegas in Nevada zu fahren, eine Strecke von acht Stunden für einen Bus, der nicht schneller als 45 Meilen pro Stunde fahren kann, immer langsam voran durch die Wüste, die Wüste, die Wüste. Man darf die Hände nicht vom Lenker nehmen, weil der Bus einen scharfen Rechtsdrall hat, man darf auch keine Pause machen, weil man dann wieder von Neuem beginnen muss. Es gibt keine Passagiere, keinen Verkehr, es gibt nur bohrende Langeweile und am Ziel: einen Punkt. Der Weltrekord bei diesem Spiel liegt bei fünf Punkten. Es wird jedoch verständlicherweise praktisch nie gespielt.
Wäre es aber nicht die ideale Vorbereitung auf die Urlaubsreisen dieser Tage?: dass man sich am Bildschirm von Tucson nach Las Vegas begibt, der eine ein so sinnlos-heißer und absurder Wüstenort wie der andere; dass also der Ausgangsort so egal ist wie das Ziel; und dass es nur auf die Strecke zwischen diesen beiden ankommt und darauf, auf dieser Strecke nicht durchzudrehen, sondern die Hände am Lenkrad zu behalten und einen Zustand der Gleichgültigkeit zu erreichen – wie er einzig für den Urlaubsautofahrer dieser Tage angemessen und wünschenswert ist. Das wäre der tiefe Sinn von Desert Bus, und mir scheint, mit sieben oder acht nächtlichen Runden dieses Spiels ist man gerüstet für jede Fahrt über den Brenner.
Und wäre es nicht auch schön, dass, während der Vater die Familie in die Ferien pilotiert, die Kinder hinten Desert Bus spielen – und die Frage wäre: Wer von beiden ist als Erster am Ziel?
Wobei ich denke: Ließe sich dieses Spiel nicht weiterentwickeln? Also vom monotonen Wüstentrip zu einer realitätsnahen Variante, in welcher die Person am Volant von allen möglichen Zumutungen bedrängt wird, von besserwisserischen Mitfahrern, schreiendem Nachwuchs, überfüllten Autobahntoiletten, drängelnden Überholern, kaputten Klimaanlagen, sinnlosen Baustellen? Und es ginge die ganze Zeit darum, ruhig zu bleiben, die Nerven im Zaum zu halten. Denn jede Unruhe am Lenkrad und jedes von dort ertönende Geräusch hätte zur Folge: Punktabzug.
Jedenfalls ginge man gut geschult auf die Reise, bestens präpariert für jenes große Spiel, das wir alle ununterbrochen spielen: das Leben.
Illustration: Dirk Schmidt