Es war Freitag, und wir fuhren aufs Land, nur der Luis und ich – im Auto. Das Wetter war schön in München, aber in der Richtung, die wir genommen hatten, in den Bergen also, hingen Wolken, wie das eben so ist, wenn das Wochenende da ist und ich in die Berge fahre: Irgendwo müssen die Wolken ja sein, und sie sind immer dort, wohin ich fahre. Ich bin einfach ein Wolkentyp.Wir fuhren also die Autobahn entlang, sahen die Wolken vor uns, und Luis, der die Vorliebe der Wolken für meine Person kennt, versuchte, Worte des Trostes zu finden. Wie immer in solchen Fällen dachte er sich eine Erfin dung aus, mit der man das Problem würde be-seitigen können.Er fragte, wie es wäre, würde man etwa zwanzig Jumbojets umbauen, in der Art, dass alle Sitzreihen rausgerissen würden und man dafür links und rechts außen unter den Flügeln große Ansaugrohre installierte. Dann würde man, sagte Luis, mit einem solchen Jumbo in eine Wolke hineinfliegen, um »das ganze Wolkenzeug« (Luis) in den Jet hineinzusaugen. »Und dann würde man mit dem Jumbo dorthin fliegen, wo man Wolken besser gebrauchen kann als hier…«Ich winkte müde ab. »Zwanzig Jumbojets, Luis, das wäre viel zu teuer, es geht nicht…«»Doch, doch«, sagte Luis. Er ist durch Argumente selten zu beeindrucken, jedenfalls nicht schnell. »Vielleicht würden selbst in diese Jumbojets nicht sehr viele Wolken passen, aber immerhin so viele, dass man die Wolken genau dort wegsaugen könnte, wo wir hinfahren«, sagte er.Ich starrte in die Ferne. Die Wolken da hinten waren sehr dunkel. Sie türmten sich. Ein Gewitter? Würde es hageln? »Ich glaube aber nicht, dass es technisch möglich wäre, Luis«, sagte ich. »Wie soll man Wolken in ein Flugzeug saugen? Wahrscheinlich wäre da drinnen gleich alles voller Nebel und Wasser.« Ich stellte mir vor, wie die Piloten gurgelnd und prustend bis zur Nasenspitze in Wolkenwasser säßen, während sie eine Wolke durchflögen. Ein seltsamer Tod: in einem Flugzeug sitzend zu ertrinken…»Doch, doch«, sagte Luis. Immer sagt er: »Doch, doch«.Was machst du eigentlich gerade hier?, dachte ich dann. Hältst du es für deine Aufgabe als Vater, deinem Buben seine Träume auszureden? Dauernd irgendeinen uninteressanten Realitätsbezug herzustellen? Ihn aus den Wolken zu holen? Dies geht nicht, jenes geht nicht? Willst du ihm seine Vorstellungskraft austreiben? Abtrainieren?Wissen Sie, ich hab so Tage… Da kann ich mich von der Wirklichkeit nicht lösen, da fehlt mir jede Fantasie, da denke ich an Zahlen auf der Bank, an Glühbirnen, die ich besorgen muss, an Autoreparaturen, all das. Die Wirklichkeit kommt mir vor wie ein gefähr liches Tier, das in meine Wohnung eingedrungen ist, bedrohlich vor mir steht und mich wie gelähmt in der Ecke sitzen lässt. Oder wie ein Gas, das mich betäubt und mir die Kräfte nimmt.Aber dann habe ich eben auch den Sohn. Er sagte jetzt: »Und die Flugzeuge könnten die Wolken dorthin bringen, wo sie dringend gebraucht werden, in die Sahara zum Beispiel. Oder man könnte dort, wo wir wohnen, ein riesiges Rohr aufbauen, das bis in die Wolken ragt, und man würde die Wolken dort hineinsaugen…«»…und unter der Erde gäbe es in ausgebaggerten Höhlen riesige Wolkenlager«, sagte ich. »Und irgendwann wären so viele unterirdische Wolken dort, dass sie den Ort, an dem wir wohnen, hochheben, so dass wir schweben, auf Wolken…«Er kicherte. »Mensch, Papa…«»…unter einem makellosen, wolkenfreien Himmel schweben wir mit unserem Haus – herrlich, oder?«»Mensch, Papa – das geht doch gar nicht!«»Natürlich nicht, aber das mit deinen Jumbos geht ja auch nicht.«»Doch, doch. Warum soll das nicht gehen?«Da haben wir den Unterschied. Ich bin 51, er ist elf. Er glaubt, dass aus seinen Fantasien noch was werden kann – und vielleicht, wer weiß… Er wollte immer schon Erfinder werden, und wahrscheinlich wird er es auch, eines Tages.Doch, doch.Draußen regnet es jetzt.
Illustration: Dirk Schmidt