Blöder Tag. Mir fällt nichts ein. Was soll werden, wenn mir nie mehr etwas einfällt? Neulich erzählte Bruno, mein Freund, er habe als Student in der Garderobe einer Spielbank gejobbt, da habe es einen alten, gut angezogenen Mann gegeben, der nichts anderes tat, als den Leuten, die ihre Mäntel abgaben, auf dem Sakkonacken herumzubürsten und ihre Schultern mit den Händen abzuklopfen. Die Leute hätten, allein um ihn loszuwerden, immer Trinkgeld gegeben, davon habe der gelebt. Eines Tages habe der Mann ihm, Bruno, seine Nachfolge angeboten. Er hätte ihm dafür dreitausend Mark zahlen müssen; so hätte er, Bruno, dieses Kleiderklopfgeschäft übernehmen können. Wäre das was für mich? Könnte ich so ein Business aufbauen?
Ich räume im Büro auf, weil mir nichts einfällt. Im Regal liegt ein Artikel, den ich vor vier Jahren aus dem New Yorker kopiert habe. Warum liegt der da? Warum hebe ich so was auf? Es liegt schon Staub auf dem Artikel, Mensch! Du hast ihn in vier Jahren nicht ein Mal angesehen. Ich hebe zu viele Dinge auf. Kürzlich fiel in unserem bis an die Decke mit Aufgehobenem gefüllten Keller etwas um, als ich die Tür öffnen wollte. Nun kann ich die Kellertür nicht mehr öffnen. Ich bringe deshalb Dinge, die in den Keller gehören, hinüber in meinen Bürokeller, der aber auch schon bedrohlich gefüllt ist. Soll ich einen dritten Keller mieten, weil ich nicht in der Lage bin, Dinge wegzuwerfen? Werde ich in dreißig Jahren alle Keller in unserem Viertel gemie-tet haben?
Ein Kellermogul sein? Ich setze mich und lese den Artikel.
Das ist ja eines der größten Hindernisse beim Aufräumen: dass man Dinge findet, die einen interessieren, in die man sich vertieft, Bücher, Zeitschriften, zack, man vergisst das Aufräumen und schmeißt wieder nichts weg.
So ist es Bruno neulich gegangen, er wollte die Bücherkartons von seinem Umzug vor zehn Jahren ausmisten, entdeckte seine alten Fußballbilderalben und fand am Ende gerade noch Zeit, Literatur und Revolution von Leo Trotzki in den Papiermüll zu geben, kein tolles Ergebnis für einen Nachmittag.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Ich würde mich vor dem Schreiben drücken. Aber ich habe nichts anderes. Und meine Kinder wollen essen.)
Der New-Yorker-Text befasst sich mit Schreibstörungen, dem writer’s block. Oh, wie ich den fürchte! Manchmal wache ich frühmorgens auf und denke: Ich kann nicht mehr schreiben. Es geht nicht. Es ist aus. Dann stehe ich sofort auf, dusche mir den Schweiß vom Körper und renne ins Büro. Und schreibe etwas. Um mich zu beruhigen. Um zu wissen, es geht noch.
Es ist nämlich so: Ich kann nichts anderes. Wahrscheinlich ist es auch gut so, dass ich nichts anderes kann. Wenn ich nämlich etwas anderes könnte, würde ich das andere tun. Ich würde mich vor dem Schreiben drücken. Aber ich habe nichts anderes. Und meine Kinder wollen essen.
Im New Yorker steht, in Amerika behandele man Autoren, die nicht mehr schreiben könnten, mit einem Medikament. Aber das Medikament bewirke nicht, dass die Patienten wieder schrieben. Es bewirke nur, dass sie gar nicht mehr schreiben können wollten. Und dass es ihnen nichts mehr ausmache, dass sie nicht mehr schreiben können wollten.
Und dann Folgendes: In der Redaktion des New Yorker gab es den Reporter Joseph Mitchell. Er trat 1938 in die Redaktion ein und ließ vielen brillanten Texten 1964 den brillantesten folgen, Joe Gould’s Secret war er überschrieben. Danach kam Mitchell weitere 32 Jahre lang Tag für Tag in die Redaktion. Aber er schrieb kein Wort mehr.
Er verstummte. Wobei es sich interessanterweise bei dem Joe Gould, den Mitchell porträtierte, um einen Autor handelte, der Schreibschwierigkeiten hatte: Er erweckte bei allen Leuten, denen er begegnete, den Eindruck, Schriftsteller zu sein, machte sich ständig Notizen, tat jedoch in Wahrheit nie etwas anderes als einige Texte, die er über seine Kinderzeit geschrieben hatte, immer neu zu formulieren.
Und dann noch dies hier: Die Autorin des Artikels erzählt die Geschichte einer Dinner-Party mit vielen Schriftstellern, bei der eine Dame das Thema writer’s block aufgebracht habe, weshalb sie noch Tage später ärgerliche Anrufe von Autoren bekam, die Schreibschwierigkeiten allein deshalb bekommen hatten, weil dieses Thema angeschnitten worden sei, das sie vorher erfolgreich verdrängt hatten. Es ist also wohl so, dass allein die Berührung mit dem Thema…
Oh, Gott, tolle Idee, dieses Regal hier aufzuräumen, WIRKLICH TOLLE IDEE, DAN-KE-SCHÖN!!!
Illustration: Dirk Schmidt