»Essen ist der Schlüssel, um die türkische Gesellschaft zu verstehen«

Der bekannteste Koch der Türkei Musa Dağdeviren erforscht das kulinarische Erbe seines Landes. Im Interview erklärt er, warum der Döner niemandem gehört, mit welchem Gericht man die Seelen der Ahnen verwöhnt und wie tief Gastfreundschaft in der Türkei verwurzelt ist.

Fruchtig trifft herzhaft: mit Hackfleisch gefüllte Mispeln.

Foto: Yemek ve kültür dergisi ve Çiya arşiv

SZ-Magazin: Herr Dağdeviren, die Deutschen lieben Döner, kennen aber kaum andere türkische Gerichte. Stört Sie das?
Musa Dağdeviren: Keineswegs, auch wenn die türkische Küche viel mehr zu bieten hat. Damit unsere Küche bekannter wird, braucht es erstmal in der Türkei mehr Menschen, die sich mit ihrer Esskultur beschäftigen. Es gibt übrigens Diskussionen, wer den Döner erfunden hat. Manche in der Türkei fordern ein Patent. Das ist absurd. Essen kann zwar zu einer geografischen Region gehören, aber es hat keine Nationalität.

Aber der Döner stammt aus der Türkei, oder?
Unstrittig ist sein Ursprung im Osmanischen Reich, eine Gravur aus dem 18. Jahrhundert zeigt Darstellungen von Döner. In Ostananatolien und der östlichen Schwarzmeerregion war Döner Teil geselliger Essensrunden unter Männern. In diesen Gegenden wie Artvin oder Erzurum wussten alle Männer, wie man Döner zubereitet. Durch Wanderungsbewegungen gelangte er in die Großstädte. Das erste Foto des Döners wurde 1854 von James Robertson in Istanbul aufgenommen. Nachdem er sich im Osmanischen Reich immer weiter ausbreitete, findet er sich heute als Gyros in Griechenland oder Schawarma in der Levante. Er wanderte mit den Völkerbewegungen. In Mexiko gibt es Tacos al Pastor – Maismehl-Scheiben mit Fleisch vom Drehspieß. Libanesische Einwanderer brachten ihn mit. Heute ist das Gericht in Mexiko und den USA sehr beliebt.