»Wir sind die Wachhunde des Kapitalismus«

Dank Oliver Stones Film Wall Street II reden alle wieder über die Gier der Spekulanten. Der britische Hedgefonds-Manager Hugh Hendry ist einer von ihnen.

SZ-Magazin: Herr Hendry, was halten Sie von Gordon Gekko, Hauptfigur in Wall Street II?
Hugh Hendry: Ich hatte leider noch keine Gelegenheit, den neuen Wall Street-Film anzuschauen. Aber ich kenne den ersten Teil und auch den Spekulanten Gordon Gekko. Die Figur ist stark überzeichnet, man spürt die Vorurteile des Regisseurs. Trotzdem hat Oliver Stone, ein bekennender Linker, in dem Film eine der größten Hymnen überhaupt auf den Kapitalismus verfasst.

Worauf spielen Sie an?
Die berühmte Rede, »Gier ist gut«: als Gekko in der Hauptversammlung von Teldar Paper das Mikrofon ergreift und zu den Aktionären spricht. Ihnen erklärt, dass die Firma ihnen gehört, dass sie von einem unfähigen, korrupten Management über den Tisch gezogen werden, dass es Zeit ist, endlich aufzuwachen. Genial.

In seinem neuen Film macht Oliver Stone die Spekulation »als Wurzel allen Übels« aus. Auch genial?

Eine grobe Vereinfachung, die noch dazu falsch ist.

Warum? Der Film dreht sich um die Finanzkrise vor zwei Jahren, und die wurde doch durch maßlose Spekulation ausgelöst?
Lassen Sie mich ein wenig ausholen: Was die Wirtschaft antreibt, sind neue Ideen. Eine Firma hat eine Idee und verdient Geld damit. Andere Firmen kopieren die Geschäftsidee, es entsteht eine Konkurrenzsituation, das drückt die Preise. Das Geschäft wird also immer weniger lukrativ, und irgendwann wendet sich der Markt einer neuen Geschäftsidee zu.

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Klingt sehr abstrakt. Was hat das mit der Finanzkrise zu tun?
Der Kern der Finanzkrise ist doch, dass dieser grundlegende Mechanismus außer Kraft war. Wer Geld in Immobilien investierte, besonders in Amerika, konnte anfangs großartige Renditen erzielen. Gute Idee also. Die Gewinnspanne verringerte sich aber bald, weil es immer schwieriger wurde, Käufer für die Immobilien zu finden. Statt die Finger von dem Geschäft zu lassen, versuchten Banken, Versicherungen und Pensionsfonds, die sinkenden Margen wettzumachen, indem sie hohe Summen an Fremdkapital aufnahmen und noch mehr Geld investierten.

Bis der Immobilienmarkt schließlich kollabierte. Trotzdem: Die Wurzel allen Übels war doch die Spekulation.
Eben nicht. Das Problem war, dass alle, ob Banken, Versicherungen oder Pensionsfonds, auf einmal spekulierten, als wären sie Hedgefonds – ohne allerdings einem ähnlich rigiden Bestrafungsmechanismus zu unterliegen. Wenn ich einen Fehler mache, bin ich meine Kunden los und weg vom Fenster. Die Zahl der Hedgefonds, die Jahr für Jahr pleitegehen, ist immens. Aber zahlungsunfähige Banken, Versicherungen oder Pensionsfonds – das kann sich keine Volkswirtschaft leisten. Deshalb wurden überall auf der Welt die Rettungsschirme aufgespannt.

Angenommen, Hedgefonds sind tatsächlich nicht die Wurzel allen Übels – wozu sind sie dann eigentlich gut?
Es gibt ein Bild, das es für mich am ehesten trifft: Hedgefonds sind die Wachhunde des Kapitalismus.

Können Sie das an einem Beispiel erklären? Vielleicht an der Griechenland-Krise, die Hedgefonds ja zum Anlass nahmen, um gegen den Euro zu spekulieren?
Griechenland ist ein gutes Beispiel: Das Land ist seit 1974 eine Demokratie. Zuvor regierte dort das Militär. Mehrmals in den vergangenen 200 Jahren war Griechenland bankrott. Doch die Banken, Versicherungen und Pensionsfonds ignorierten diese Historie und begannen, im großen Stil griechische Staatsanleihen zu kaufen. Griechische Staatsanleihen sind so etwas wie der Rotlichtbezirk in der Finanzindustrie. Absolut tabu für seriöse Anleger. Aber die Anleihen versprachen hohe Renditen. Also investierten diese Leute viel Geld. Anfangs verdienten sie auch gut damit, deshalb wurden sie immer gieriger. Bis sie schließlich zu viel davon gekauft hatten. Dann dauerte es nicht mehr lange, bis Panik ausbrach und alle nur noch versuchten, die Papiere abzustoßen.

Hedgefonds spielten dabei eine unselige Rolle: Sie wetteten auf den Verfall der Anleihen und des Euro und heizten die Krise erst richtig an.

Wie ich schon sagte: Die Krise wurde von der Finanzwirtschaft ausgelöst. Sie hat sich mit Papieren eingedeckt, die sie nie hätte kaufen dürfen. Dann betraten die Hedgefonds den Rotlichtbezirk und riefen: Feuer! Und verdienten eine Menge Geld, als die erwartete Torschlusspanik einsetzte.

Wie sehen Sie die Rettungsaktion der EU, die Griechenland mit einem Hilfspaket über 110 Milliarden Euro vor dem Kollaps bewahrte?
Ich glaube, damit wurde nur eine Entscheidung vertagt, die längst überfällig ist: Um wirtschaftlich zu überleben, müsste Griechenland seine Währung abwerten. Das geht nur, wenn das Land aus der Eurozone aussteigt. Griechenland braucht seine Drachme, so wie Irland das Pfund und Italien seine Lira. Als Euro-Mitglied werden die Griechen jetzt zu großen Opfern gezwungen. Ähnlich wie in Lettland oder Irland, wo die Menschen schon seit einiger Zeit für niedrigere Löhne länger arbeiten. Ich fürchte nur, dass diese Maßnahmen wenig an der Misere ändern. Früher oder später werden die Griechen auf die Barrikaden gehen.

Rechnen Sie mit einem Staatsbankrott in Griechenland?
Ja.

Wäre das nicht das Ende des Euro?
Ja. Aber wäre das so schlimm? Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Deutschen auf Dauer ohnehin keine Lust hat, mit Milliarden von Euro andere Staaten zu retten, die ihre Ausgaben nicht im Griff haben.

Der Euro ist doch mehr als nur eine Währung. Er steht für eine Idee – die Idee vom Vereinigten Europa.
Ideen sind Luxus. Solange die Wirtschaft gut lief, konnten wir uns solche Ideen leisten.

Ist das nicht arg kurzsichtig? Die Wirtschaft hat doch kräftig davon profitiert, dass es in Europa seit 65 Jahren keinen Krieg mehr gab.
Schon klar. Reiche Menschen führen keine Kriege. Die Sympathie für Visionen dieser Art wird aber sehr schnell schwinden, wenn die Menschen ihre Jobs verlieren, während ihre Regierung Milliarden an die EU überweist, um Griechenland oder irgendein anderes Land zu retten.

Täuscht es, oder sind Ihnen die sozialen und politischen Folgen solcher Krisen wirklich egal – solange Sie Geld damit verdienen?
Ach was. Ich kann mit meinem Fonds auch sehr gut Geld verdienen, wenn es den Menschen gut geht. Nehmen Sie das Beispiel George Soros: Als er 1992 gegen das Britische Pfund wettete, war er am Ende um eine Milliarde Dollar reicher. Von mir aus hätte er auch zehn Milliarden haben können, denn er hat Großbritannien von einer Geißel befreit: Es war ein Riesenfehler, dem Europäischen Währungsraum beizutreten, die britische Wirtschaft besaß weder die Flexibilität noch genug Stärke, um in einer Gemeinschaft mit der deutschen Wirtschaft zu bestehen. Deshalb wurden die Zinsen erhöht, am Ende waren es 15 Prozent. Aber 15 Prozent kann sich kein Mensch auf Dauer leisten. Nach der Intervention von Soros verließ Großbritannien den Europäischen Währungsraum, und die Lage im Land verbesserte sich wieder. Und warum das Ganze? Nur weil die Politiker wieder Visionen hatten. Zum Teufel mit den Visionen!

Seltsames Demokratieverständnis: Vom Volk gewählte Politiker beschließen etwas – und dann stellt ein einzelner Spekulant diesen Beschluss auf den Kopf.

Warum? Es ist doch demokratisch, wenn ein Einzelner wie Soros seine Sicht der Dinge in der Öffentlichkeit darstellt. Geld allein reicht ja nicht, der Spekulant muss schon auch klug sein. Soros konnte die Entscheidung der britischen Regierung nur zu Fall bringen, weil er erkannte, dass sie den Gesetzen des Marktes zuwider- lief. Genau aus diesem Grund wird auch der Euro kollabieren.

Wollen Sie ernsthaft behaupten, Hedgefonds seien die Hüter der marktwirtschaftlichen Gesetze?
Es mag der allgemeinen Wahrnehmung widersprechen, aber genau so ist es. Sie dürfen nicht vergessen, dass Großkonzerne wie die Deutsche Bank, Allianz oder die Münchener Rück Horden von Fachleuten beschäftigen, die Tag für die Tag die Informationen prüfen, die sie von den Märkten erhalten. Experten, die nichts anderes umtreibt als die Frage, was ein realistischer Kurs ist – für eine Aktie, eine Anleihe, eine Währung. Egal, welchen Trend ein Hedgefonds vorgibt, große Anleger werden nur aufspringen, wenn er sich mit ihren eigenen Analysen und der ökonomischen Realität deckt.

»Ich habe viel, viel Geld verloren.«


Sie haben viel über Visionen und Ideen gesprochen. Wie kommen Sie auf Ideen, wo Sie Ihr Geld als Nächstes investieren könnten?

Ganz unterschiedlich. Ich lese Bücher, reise viel. Letztes Jahr bin ich mit dem Zug durch China gefahren. Dabei kam ich auch in die Stadt Wuhan und sah einige spektakuläre Wolkenkratzer. Jeder etwa eine Milliarde Dollar wert, vermutlich von irgendwelchen Spekulanten gebaut, auf Pump. Sie standen alle leer. Solche Dinge beobachte ich und ziehe meine Schlüsse. Was das Wirtschaftswunder in China angeht, so habe ich schon seit längerer Zeit große Vorbehalte.

Wie erklären Sie sich eigentlich das verheerende Bild von Hedgefonds in der Öffentlichkeit?

Daran sind sicher auch die Manager der Hedgefonds schuld. Sie machen zu viel Geheimnis um ihr Tun. Reiche, die ihre Geschäfte im Verborgenen treiben – das ist natürlich suspekt. So entstehen die ganzen Mythen um unsere Branche.

Einen Teil Ihres Fonds haben Sie im Nahrungsmittelmarkt investiert. In den letzten Jahren gab es wiederholt Kritik, dass Fonds auf die Preisentwicklung von Lebensmitteln wetten. Wie stehen Sie dazu?
Ich kenne die Diskussion. Dahinter steht die berechtigte Frage: Können wir die Welt ernähren? Ich bin überzeugt, dass wir das können. Aber nur, weil wir große technische Fortschritte gemacht haben in der Landwirtschaft und der Entwicklung von Saatgut. Das Motiv für diese Entwicklungen war fast immer Profit. Wenn wir diese Triebkraft aus der Landwirtschaft verbannen, wird es wirklich schwer, die Weltbevölkerung zu ernähren.

Die Kritik zielt nicht auf die Profite von Technologiefirmen, sondern auf Spekulanten, die binnen eines Jahres den Preis für Reis oder Kakao um 50 Prozent hochtreiben.
Da muss ich wieder fragen: Warum explodiert der Preis? Doch nicht wegen der Spekulanten, sondern weil der Markt aus dem Gleichgewicht geraten ist. Womöglich gab es eine Missernte, und nun wird einfach mehr Reis oder Mais nachgefragt als angeboten. Die steigenden Preise haben aber auch ihr Gutes: Sie veranlassen die Bauern, in der nächsten Saison mehr Reis oder Kakao anzubauen. Und dann fallen die Preise wieder.

Schon in der Vergangenheit haben sich Angebot und Nachfrage eingependelt – ganz ohne Hedgefonds. Warum soll das heute anders sein?
Wir leben in einer seltsamen, historisch einmaligen Zeit: Seit Mitte der Siebzigerjahre ist zum Beispiel der Preis für Mais um 90 Prozent gefallen. Ob Taxifahrten oder Briefmarken – alles wurde teurer. Nur die Preise für Nahrungsmittel brachen ein. Wer in dieser Zeit also Mais anbaute, wurde Jahr für Jahr ärmer. Deshalb änderten die Bauern ihr Verhalten und legen keine Vorräte mehr für das nächste Jahr an. Weil es sich nicht rechnet, eine Ware für viel Geld zu lagern, wenn der Preis dieser Ware ständig fällt. Die Sache hat einen Haken.

Welchen?
Dass sich in diesem Verhalten eine gewisse Hybris widerspiegelt: die Hybris, so zu tun, als sei die Landwirtschaft heute ein vorhersehbares Geschäft. Dabei hat der Markt nur davon profitiert, dass besonders in Nordamerika während der letzten zwanzig Jahre die klimatischen Bedingungen für den landwirtschaftlichen Anbau extrem günstig waren.Nun glauben viele, dass dies auch in Zukunft so bleibt. Diese Hybris macht uns enorm verwundbar. Eine schlechte Saison in Nordamerika, zu viel Regen, eine Dürre – schon steht die Welt vor einem riesigen Problem.

Mit Ausnahme der Spekulanten?
Ja, sicher könnte ich an so einer Krise gut verdienen. Andererseits hat Spekulation auf diesem Feld sehr wohl einen vorbeugenden Effekt: Sie führt der Welt vor, wie verwundbar sie ist.

Gibt es irgendein Geschäft, das Sie aus moralischen Erwägungen nicht eingehen würden?

Nein.

Waffen?
Nein.

Wasser?
Nein. Ich halte all diese ethischen Investments für moralische Feigenblätter. Darin äußert sich das schlechte Gewissen einer Gesellschaft, die weiß, dass sie gierig ist – und sich irgendwie dafür schämt.

Gerade diese Skrupellosigkeit hat die Öffentlichkeit gegen die Hedgefonds aufgebracht. Kanzlerin Angela Merkel sorgte unlängst dafür, dass in Deutschland die Leerverkäufe eingeschränkt wurden, die bei Spekulanten beliebte Praxis, Aktien zu verkaufen, die man zum Zeitpunkt des Verkaufs noch gar nicht besitzt.
Deutschland ist ein bewundernswertes Land mit einer extrem erfolgreichen Wirtschaft und einigen der größten Unternehmerpersönlichkeiten der Welt. Umso mehr wundere ich mich über die politische Klasse, die sich Ihr Land in letzter Zeit leistet. Grundsätzlich stört mich die Haltung der Politiker, einfach alles verbieten zu wollen, was sich ihrer Kontrolle entzieht.

Was spricht dagegen, Exzesse zu unterbinden?
Die vermeintlichen Exzesse sind doch verschwindend im Vergleich zu dem, was uns noch bevorsteht: Praktisch alle erfolgreichen Spekulanten fürchten, wir könnten demnächst Zustände wie in Weimar erleben.

Sie meinen die Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg?

Richtig. Damit sich diese Geschichte nicht wiederholt, wurde in Deutschland die Bundesbank gegründet, die erste unabhängige Zentralbank. Sie legte großen Wert auf eine stabile Währung und förderte freies Unternehmertum. Und es wurde ein unabhängiger Kapitalmarkt geschaffen. Die Botschaft lautete: Wenn ein Land es wagt, blindwütig die Gelddruckmaschinen anzuwerfen, wird die Währung dieses Landes in den Keller gehen, die Zinsen werden steigen, und die Wirtschaft wird unter Druck geraten. Diese zwei Sicherheitsmechanismen haben garantiert, dass der westlichen Welt seit mehr als einem halben Jahrhundert eine Hyperinflation erspart blieb.

Die Mechanismen existieren bis heute, die Funktion der Bundesbank hat die Europäische Zentralbank übernommen. Wo ist das Problem?
Im Mai dieses Jahres hat die Europäische Zentralbank auf Druck der Politik für Milliarden Staatsanleihen von Ländern wie Griechenland und Portugal gekauft. Jean-Claude Trichet, dem Chef der EZB, wurde zuvor erklärt, dass er seinen Job verliert, wenn er nicht mitzieht. So viel zur Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Und wenn Frau Merkel die Leerverkäufe einschränkt, hebelt sie ein Stück weit den freien Kapitalmarkt aus. Warum tut sie das? Damit sie und ihre Politikerkollegen weiter die Gesetze der Ökonomie verletzen können, ohne dafür von Leuten wie mir bestraft zu werden.

Ihr Vater war Lkw-Fahrer. Wie erklären Sie ihm, dass Ihre Arbeit so viel mehr wert sein soll als seine?
Das ist nun mal der Lauf der Dinge. Mein Vater weiß sehr genau, wie hart ich arbeite und welche Opfer ich gebracht habe in meiner Karriere. Sicher, ich hatte große Erfolge, besonders letztes Jahr, als die Fonds im Durchschnitt 30 Prozent einbüßten, während mein Fonds um 50 Prozent zulegte. Aber ich habe auch schlimme Zeiten erlebt.

An welche Zeit denken Sie da vor allem?
Ganz klar: an den Oktober im Jahr 2002. Meine erste Tochter wurde geboren, und ich startete meinen Fonds. Die Geschäfte liefen anfangs schlecht, und meine Tochter plagten monatelang Koliken, sie weinte die ganze Nacht. Meine Frau weinte, weil unser Baby weinte. Und ich weinte, weil meine Frau weinte. Und weil ich viel, viel Geld verlor.

Hugh Hendry, 41, lebt in London und leitet den Hedgefonds Eclectica, den er vor acht Jahren gegründet hat. Im Moment hat er etwa 330 Millionen Dollar angelegt, vor allem in europäischen Wertpapieren und im Lebensmittelsektor. Die New York Times verglich ihn kürzlich mit dem legendären Fondsmanager George Soros. Hendry gilt als brillanter Kopf, der keine öffentliche Auseinandersetzung scheut. Auf Youtube ist u. a. zu sehen, wie er sich mit dem Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und dem US-Ökonomen Jeffrey Sachs streitet.

Foto: Heiko Prigge