SZ-Magazin: Sie arbeiten seit mehr als 25 Jahren mit suchtkranken Menschen. Wann haben Sie festgestellt, dass Abhängigkeit in unserer Gesellschaft weit über Alkohol und Drogen hinausgeht?
Anna Lembke: Das fing um das Jahr 2010 an, als Männer mittleren Alters zu mir kamen, die von Pornografie abhängig waren. Die meisten von ihnen erzählten, dass ihr erstes Smartphone sie von einem kontrollierbaren zu einem unkontrollierbaren Konsum gebracht hatte. Dann beobachtete ich immer öfter junge Männer, die süchtig nach Videospielen waren, anschließend fielen mir andere Verhaltensweisen auf, von denen auch Frauen betroffen waren, zum Beispiel Kaufsucht. Erst später erkannte ich, dass Menschen digitale Geräte als solche zwanghaft nutzten – auch die Patientinnen und Patienten, die eigentlich wegen einer anderen Sucht zu mir gekommen waren. Das spiegelte sich auch in meinen Beobachtungen, wenn ich zum Flughafen oder in ein Restaurant ging und die Leute immer weniger miteinander und immer mehr mit ihren Smartphones zu tun hatten.
»Wir brauchen immer mehr Vergnügen, um uns gut zu fühlen«
Smartphones machen uns zu Dopamin-Junkies, sagt die Suchtexpertin Anna Lembke. Im Interview erklärt sie, wie die Geräte uns fesseln, warum sie uns die Freude an kleinen Dingen kaputt machen – und wie man dem ewigen Teufelskreis nachhaltig entkommt.