»Wir werden angegriffen und müssen uns wehren«

Wolfgang Tillmans zählt zu den einflussreichsten Künstlern der Gegenwart und ist politischer Aktivist. Ein Gespräch über Feinde der europäischen Idee, die Kraft schwacher Männer und ein Leben mit HIV.

Wolfgang Tillmans auf den Straßen von Köln, fotografiert von seinem Galeristen Daniel Buchholz, mit dem er seit 26 Jahren zu­sammen­arbeitet.

Foto: Daniel Buchholz, 2018

SZ-Magazin: Herr Tillmans, Sie experimentierten schon als Jugendlicher mit Musik, Kunst und Kleidung. All das fassten Sie unter dem Künstlernamen »Fragile« zusammen. Wieso wählten Sie ausgerechnet diesen Namen?
Wolfgang Tillmans: Weil ich dieser grundsätzlichen Erkenntnis, dass ich zerbrechlich bin, schon als Teenager ins Auge schauen konnte und wollte. Ich sah in dem, was für andere negativ behaftet war, eine poetische Stärke.

Wie kamen Sie als 15-Jähriger zu dieser Erkenntnis?
Ich interessierte mich damals obsessiv für Astronomie. Von daher war mir klar, dass ich nur eine mikroskopische Kleinigkeit bin. Und dass genau darin die Herausforderung des Lebens besteht, an diesem Spannungsverhältnis aus eigener Nichtigkeit und der Sehnsucht nach Anerkennung nicht zu zerbrechen. Sinnsuche und Philosophie durchzogen damals auch die Musik von Fehlfarben oder Neil Young. So waren Gedanken wie diese, in einer westdeutschen Stadt wie Remscheid im Jahr 1983 nicht schwer zu finden. Schließlich war nicht mal vierzig Jahre vorher die Atombombe erfunden worden.