Arbeitet noch wer oder tun alle nur so?

Produktivität lässt sich heute leicht vortäuschen: Da werden »Recaps« gemailt mit dem Chef in Cc oder Streber-Postings bei LinkedIn abgesetzt. Vor allem eine Gruppe in der Arbeitswelt fällt mit ihrem Inszenierungseifer auf.

Eine frühe Form der Produktivitätsprahlerei: Wer viele Zettel ausgebreitet hat, hat bestimmt sehr viel zu tun.

Foto: Lars Tunbjörk

Es dauert gar nicht lange, bis der Irrsinn zum Alltag wird. Man muss die seltsamen Handlungen und Routinen nur ein paar Wochen lang durchhalten. Und braucht ein paar Menschen, die mitmachen. Plötzlich erscheint alles ganz normal.

Als ich vor einigen Jahren begann, für ­einen US-Softwarekonzern zu arbeiten, entwickelte ich die Marotte, jede berufliche ­E-Mail innerhalb von 15 Minuten zu beantworten. Auch frühmorgens oder spätabends. Auch wenn ich mich im Thema gar nicht gut auskannte. Die E-Mail selbst war die Botschaft: Der Absender – ich! – ist ein guter, fleißiger Mitarbeiter! Ein wenig später fasste ich den Vorsatz, mich in jedem Meeting mindestens dreimal zu Wort zu melden. Zur Not wiederholte ich einfach, was bereits gesagt worden war. Fiel nicht weiter auf. ­Jeden Montagmorgen um acht Uhr füllte ich meinen öffentlich sichtbaren digitalen ­Kalender mit Scheinterminen auf, bis er angemessen bunt und busy aussah – ein farbenfrohes ­Mosaik der Produktivität: Aus dem Kaffee­trinken mit einer Kollegin wurde eine »Discussion: Strategy«. Gut funktionierten auch geblockte Zeitfenster zu vagen Themen wie »Vorbereitung Meeting«.