»Wer Worte für Gefühle findet, findet auch Nähe«

Viele Erwachsenen haben nie gelernt, ihre Emotionen wahrzunehmen, zehn Prozent gelten sogar als »gefühlsblind«. Der Psychoanalytiker und Arzt Matthias Franz weiß, wie man dieses Merkmal seiner Persönlichkeit erkennt und sich und andere besser zu verstehen lernt.

Wer keine Worte für Gefühle hat, muss sie auf einem anderen Kanal ausdrücken – etwa über den Körper, sagt Matthias Franz. So kann Trauer etwa zu Schmerz werden.

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SZ-Magazin: Herr Franz, wann ist es noch normal, wenig zu fühlen – und wann ein Warnsignal?
Matthias Franz: Wir alle stehen mal auf dem Schlauch oder haben eine Phase, in der wir gestresst sind und weniger fühlen. Auffällig wird es, wenn sich Muster wiederholen. Man kann sich folgende Fragen stellen: Kann ich die fünf Basisaffekte – Ekel, Angst, Freude, Trauer, Wut – empfinden und anderen mitteilen? Merken andere Menschen, wenn ich mich freue oder fürchte, oder behalte ich das für mich? Fühlen sich andere von mir verstanden – oder sagen sie, ich erreiche dich emotional nicht? Schickt mein Körper dauernd Alarmsignale, für die es keine organische Erklärung gibt – Kopfweh, Magenschmerzen, Herzrasen? Dann kann es ein verkörpertes, sprachloses Gefühl sein. In unserer Psychosomatischen Klinik, am Alexius/Josef Krankenhaus in Neuss, screenen wir ausnahmslos alle neuen Patienten mit einem Fragebogen auf Alexithymie. Ich finde, das sollte überall Standard werden. Das ist wie in der Inneren Medizin der Blutdruck – den checkt man ja auch immer.