»Verzeihen ist ein Geschenk, das wir uns selbst machen«

Kaum etwas ist so schwer, wie anderen zu vergeben – und kaum etwas so befreiend. Der US-Psychologe Robert Enright erklärt, welche Kraft in der Vergebung liegt und warum sogar Opfer von Gewalt und Missbrauch den Tätern verzeihen konnten. 

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Herr Enright, warum fällt es vielen Menschen so schwer zu vergeben?
Robert Enright:
Vergebung ist für viele immer noch ein Zeichen von Schwäche oder davon, nachzugeben. Dazu kommt: Es wird kaum über das Vergeben gesprochen. Am Arbeitsplatz, in der Familie oder generell in der Gesellschaft: Über Verletzungen, die einem zugefügt wurden, spricht man viel öfter als darüber, wie man eine Verletzung vergeben hat.

Auch das Entschuldigen wirkt präsenter. Schon auf dem Spielplatz wird Kindern beigebracht, um Entschuldigundg zu bitten.
Das ist auch richtig und wichtig. Vergeben ist aber wahrscheinlich die moralische Tugend, die am schwierigsten zu praktizieren und gleichzeitig am wichtigsten für unsere Beziehungen ist. Gerechtigkeit zum Beispiel ist als Prinzip viel leichter zu vermitteln: Ich räume die Spülmaschine aus, und du hängst die Wäsche auf. Es hat ein fairer Deal stattgefunden. Vergeben ist aber kein gleichwertiger Austausch. Es bedeutet, aus freiem Willen jemandem gegenüber bewusst gut zu sein, der nicht gut zu uns war. Und das ist sehr schwierig, wenn man noch mit der eigenen Verletzung beschäftigt ist.