»Liebe beruht meistens auf etwas anderem als Leidenschaft«

Die französische Schriftstellerin Catherine Cusset schreibt Bestseller über die Liebe. Ein Interview über ihr neues Buch »Die Definition von Glück«, Fantasien, toxische Beziehungen – und die Frage, was Paare verbindet, wenn die körperliche Anziehung abnimmt.

Catherine Cusset, 58, hat in Frankreich mehrere Bestseller veröffentlicht. Ihr neuer Roman »Die Definition von Glück« erscheint im Eisele-Verlag.

Foto: Francesca Mantovani

Ihr Roman dürfte kontrovers aufgenommen werden: Clarisse, eine der beiden Hauptfiguren, wird vergewaltigt, und sie scheint nicht sehr darunter zu leiden.
Dem stimme ich überhaupt nicht zu! Clarisse leidet sehr unter dieser Vergewaltigung. Das ist die Anfangsszene des Buches und gibt dem Roman seinen Titel. Vergewaltigung ist ein sehr ernstes Thema, das das Leben einer Frau zerstören kann.

Ihre Protagonistin redet danach kaum darüber.
Clarisse ist eine Jugendliche, die in einen Jungen verliebt ist, sie ist voller Vertrauen, und ihr Vertrauen wird auf schreckliche Weise missbraucht. Ihr ganzes Leben danach ist eine Geschichte von Betrügereien, deren Opfer sie ist. Wenn Sie glauben, dass sie nicht sehr darunter leidet, liegt das nur daran, dass ich nicht viel sage, sondern den Leser zwischen den Zeilen lesen lasse. Für mich geht es in der Literatur um Subtilität. Wenn man zu viel sagt, wird es schwer und klischeehaft. Die Folgen der Vergewaltigung sind sowohl unmittelbar als auch langfristig. In dem Jahr nach der Vergewaltigung kann Clarisse nicht aufhören, Süßigkeiten zu essen, sie nimmt zehn Kilo zu und wird introvertiert. Ich würde allerdings nicht sagen, dass die Vergewaltigung die Kernszene von Clarissa ist. Ihre Kernszene ist das Verlassenwerden durch ihren Vater. Vielleicht ist die Vergewaltigung eine Folge davon. Dadurch, dass ihr Vater sie verlassen hat, ist sie verletzlicher und weniger strukturiert als Ève.