»Mein Äußeres stand im Weg, um von Kritikern ernsthaft gelesen zu werden«

Julia Franck wurde mit ihrem Buch »Die Mittagsfrau« schlagartig bekannt – aber ihr Erfolg brachte Anfeindungen mit sich. Nun wird der Roman verfilmt. Ein Gespräch über das Aufwachsen bei einer Anti-Mutter, den tragischen Tod ihrer großen Liebe und Schönheit als Malus in der Literaturszene.

Ihr Vater war acht Jahre alt, als ihn seine Mutter 1945 an einem Bahnsteig allein zurückließ. Als er mit 49 starb, hatte Julia Franck, damals 17, ihn gerade erst kennengelernt.

Fotos: Paula Winkler/Agentur Ostkreuz

SZ-Magazin: Frau Franck, Sie sind bei einer Anti-Mutter aufgewachsen, die unter Tobsucht litt, ihre Zähne nicht putzte und Besucher oft nackt empfing. Wenn Sie ihr Gefühle zeig­ten, hieß es: »Kitsch dich nicht ein!« Hatten Sie Hunger oder waren krank, nahm Ihre Mutter das ebenso wenig zur Kenntnis wie Ihr Einser-Abitur. Haben Sie sie mal gefragt, warum sie fünf Kinder hat, obwohl sie sich augenscheinlich kaum für sie interessiert?
Julia Franck: Meine Mutter ist ein sonderbarer und seltener Mensch. Frauen wie Männer sind schon bei den ersten Begegnungen von ihr fasziniert und finden sie äußerst charismatisch. Sie wuchs in einer Familie aus Wissenschaftlern und Künstlern auf und war Theater- und Filmschauspielerin. Wenige Monate nach dem Bau der Mauer nahm sich ihr Bruder zusammen mit seiner Geliebten das Leben. Zuvor hatte er flehentliche Bittbriefe an Verwandte und Freunde der Familie im westlichen Ausland geschrieben, in der Hoffnung, irgendjemand könnte ihn aus dieser DDR retten. Er war 18, als er starb. Meine Mutter hat der Schmerz fast wahnsinnig gemacht. Sie war nur ein Jahr älter, die beiden waren sehr eng.