Die Tage saß ich in einem Garten, hinter mir eine Villa, über mir uralte Buchenkronen, vor mir der See. Und dachte so, während die ersten Sonnenstrahlen des Jahres meine Haut und mein Hirn erhitzten: Wie werd ich bloß reich? Was hab ich falsch gemacht? Und, natürlich, Irren ist menschlich: Gibt's nicht doch einen Trick?
Ich habe schon mal den falschen Beruf ergriffen. Mir die falschen Freunde gesucht, nicht reiche. Und den falschen Mann nicht geheiratet. Habe auch ihn den falschen Beruf ausüben lassen. Und das nicht alleine. Und auf das Upgrade in die richtige Steuerklasse verzichtet. Meine Gedanken waren noch kleinteilig an der Realität orientiert: Ehegattensplitting, Zugewinngemeinschaft, Erbe - alles falsch gemacht.
Hätte ich es richtig angestellt, mein Hirn begann nun größer zu denken, gehörten mir jetzt nicht nur Villa, Garten und See. Sondern auch Briefkästen, Firmen und Konten. Ich habe ja sogar diesen Freund, der wohnt in einem französischen Steuerparadies in der Karibik. Da parken die Herren in Briefkästen ihre Gelder und in den Villen dazu ihre Ehefrauen, das ist praktisch. Natürlich ist auch dieser Freund der falsche und selbst nicht richtig reich. Aber seinen Briefkasten hätte ich mir borgen können. Eine Freundin, die Cello spielt, habe ich auch. Doch was bringt's, wenn ich nicht verheiratet bin und mein Mann den ganzen Kram nicht auf mich überschreiben kann? Oder ginge das auch ohne Trauschein?
Sie lachen!? Es war sehr warm an jenem Tag, ich hatte Schaumwein genippt und mein Hirn funktioniert in einer Hinsicht schwach. Aber du könntest immer noch den richtigen heiraten, dachte ich und schielte in den Nachbargarten, du bist jünger als Jerry Hall. Dann döste ich weg, in ferne Oasen und Paradiese.
Nüchtern betrachtet wird das nie was, das weiß ich, tief drin und zwar lebenslang. Denn: Ich habe keine finanzielle Energie. Die hat man oder man hat sie nicht. Das sehe ich auch an meinen Kindern. Der eine freut sich auf seinen monatlichen Kontoauszug; der andere verschusselt sein Taschengeld.
Mit einer finanziellen Energie wird man geboren. Oder man kriegt sie eingebläut. Bei mir gab's beides nicht. Als Jugendliche fragte mich meine Großtante, was aus ihrem Besitz ich gern hätte. Ich deutete auf die zwei Porzellankätzchen auf ihrem Teetisch und sagte: Die da! Meine Cousine bekam dann das ganze Haus und noch ein paar Konten dazu. Was für Konten? Keine Ahnung. Für einen Studenten-Job hat es mich mal in die Wertpapier-Abteilung einer Bank verschlagen, und nach sechs Wochen hatte ich noch immer nicht kapiert, was die da machen. In meinem Hirn docken Buchstaben an, Zahlen lässt es nicht rein; und es ist mir egal. Also ließen sie mich das Handbuch der Wertpapier-Abteilung auf sprachliche Fehler prüfen.
Wenn du dich nicht für Geld interessierst, habe ich meinem finanziell tiefbegabten Sohn neben mir im Liegestuhl erklärt, dann wirst du auch nicht reich. So einfach ist das. Ich will das gar nicht moralisch verbrämen. Auch wenn wir an jenem Tag im Garten der Villa von Bert Brecht und Helene Weigel saßen. In Buckow, da wird man elegisch. Und der Brecht, habe ich zu meinem Sohn gesagt, war der, der meinte, Bankengründer seien schlimmere Verbrecher als Bankräuber.
Er schwieg. Eine Meise zwitscherte. Schwer fassbar für einen Elfjährigen. Also erklärte ich es ihm: Es gibt Menschen, die haben eine kriminelle Energie und es gibt Menschen mit einer finanziellen Energie. Die kann noch gefährlicher sein. Weil sie erlaubt ist. Und belohnt wird. Menschen mit großer finanzieller Energie können nämlich sagen: Ich hab doch nichts verbrochen! Es ist nicht verboten, unverschämt viel Geld in Briefkästen im Paradies zu bunkern und dadurch denen vorzuenthalten, die nicht so viel finanzielle Energie haben. Und dann eben auf schlechte Schulen gehen müssen, in schlechte Krankenhäuser, auf schlechten Wegen radeln, in kalten Bädern schwimmen und vor geschlossenen Musikschulen stehen müssen. Schön blöd! Weil, selber schuld! Wenn sie nicht die finanzielle Energie aufbringen, die wir nun mal haben: Wir Villengarten-, Briefkastenfirmen- und Ehefrauenbesitzer! Wir Vorbilder! Schau dich doch an, du Loser, wie du rüberschielst, in meinen Raffaello-Villengarten!
Mein Sohn sah mich mit großen Augen an und sagte: Aber was machen wir denn da? Sollen wir eine Bank überfallen?
Dies war der denkwürdige Moment, als ich ihm von Menschen und Wölfen erzählte. Denkwürdig, weil ich von mir nicht gedacht hätte, dass ich mal Thomas Hobbes zitieren würde, der Mensch des Menschen Wolf. Und weil das so ist, behauptete ich, weil es Wölfe mit sehr viel und Menschen mit geringer finanzieller Energie gibt, braucht es dringend jemanden, der so hirnverbrannte, verträumte Typen wie uns beschützt. Menschlein, die jedes Pups-Honorar versteuern. Und sich von Porzellankätzchen ablenken lassen. Menschlein, die das mit dem Geldmachen und Geldeintreiben und Geldabzweigen und Geldverheimlichen und Geldhintenrumschieben nicht schnallen. Man nennt das Staat. Den sollten Politiker machen. Mit Gesetzen, die es verbieten, dass 62 Menschen über genau so viel Vermögen verfügen wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung.
Da sagte mein Sohn, das Kind: Und warum machen die das nicht?
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