Zurzeit hilft es sehr, wenn ich mir das Bankenwesen als riesiges gefräßiges Loch vorstelle. Als wäre zum Beispiel Frankfurt in lockerem Erdreich versunken, und wo früher die Bankentürme, der Hauptbahnhof, die Messe und die Kaiserstraße waren, gähnt nun ein Loch, an dessen sandigen Rändern bereits Offenbach ins Rutschen gerät, sogar erste Taunusgemeinden.
Man schaufelt Geld ins Loch, um es zu schließen. Man hat es erst mal mit 500000000000 Euro versucht, besonders die Nullen sind wichtig an dieser Zahl, sie nehmen einigen Platz ein und sind sehr stabil in der Form, ähnlich dem Ei. Andererseits ist jede Null im Grunde genommen auch ein Loch. Wäre nicht besser, man nähme eine andere Zahl, zum Beispiel 517896543215? Diese Ziffern würden sich im Loch verhaken und verschränken und den Untergrund Frankfurts vielleicht besser stabilisieren, denke ich mir. Meine Angst ist aber: dass diese Summe nicht ausreicht. Das Loch könnte zu tief sein. Es muss doch aber geschlossen werden, wir brauchen ein stabiles Bankenwesen, ohne Bankenwesen geht’s nun mal nicht, ich weiß nicht, warum, aber es ist so. Selbst Darmstadt käme also ins Gleiten, Wiesbaden, Mainz. Wie Dünensand verschwänden wertvollste Infrastrukturen im Untergrund Hessens.
Die Kanzlerin hält dann wieder eine Rede: Wir müssen dieses Loch schließen! Das geht nur mit Geld, mit keinem anderen Stoff ist dem Frankfurtloch geholfen, es gäbe alles Sonstige sogleich wieder von sich, erbräche sich wie ein Vulkan. Alle müssen zusammenstehen, sagt die Kanzlerin, weitere 5000000000 müssen wir aufbringen, sofort, pumpen, pumpen, pumpen. Joschka Fischer gibt Vortrags-honorare, Gerhard Schröder seine Gazpromgage, der Schriftsteller Tellkamp das Buchpreisgeld, hinein, hinein. Weinende Schulkinder werfen Taschengeld hinterher.
Erneutes Glotzen ins Loch. Wird ein Boden sichtbar?
Von wegen. Das Loch frisst sich im Westen Richtung Koblenz, auf der anderen Seite würzburgwärts. Man kann das nicht dulden, Autobahnen werden gesperrt, der Inhalt sämtlicher Staatshaushalte wird auf Geldtransportern an den Lochrand gekarrt und hineingekippt. Wie eine Amselmutter den Kuckucksschlund füttert, so werfen wir allen Geldbesitz in die Bankentiefe, es muss doch aufhören, dieses Rutschen. Hört es aber nicht. Nicht einmal allerfestestes Festgeld stabilisiert das Loch.
Was haben sie denn nur getan, diese Teufelsbanker, sie haben ganz Deutschland unterminiert, man wagt kaum, mit dem Fuß aufzustampfen, auch wenn man noch so wütend ist – unter uns ist alles hohl. Man bekniet die Wiesnwirte, die Profite vom Oktoberfest herzugeben, eine so unübersehbare Menge Geldes, das müsste helfen. Auch nicht. Selbst dieser größte im Lande vorhandene Geldschatz vergluckert im Loch mit leisem Schmatzen, ein Rülpsen ertönt, Heidelberg ist weg. Auch sind nun an den meisten deutschen Straßenecken Bankniederlassungen in Filial-Löchern versackt, die immer größer werden.
Man beginnt, in der Schweiz und Liechtenstein nach Geld zu graben. Aber auch Zürich ist nur ein gähnender Rachen, London ist sowieso weg, New York schon lange. Nichts hilft. Karawanen brechen nach Moskau auf, um Geld zu suchen, den Banken ist nicht zu helfen, wozu eigentlich auch?, es gibt ja keine einzige Bank mehr, alle sind irgendwo unter der Erdoberfläche, wobei es, genau genommen, auch keine Erdoberfläche mehr gibt. Nur noch Löcher. Scheichtümer haben, um zu helfen, ihr Öl an die Banken verschenkt, vergeblich, alles Geld ist im Erdinneren. Huldigungstelegramme gehen »An Herrn Kim Jong-Il oder Vertreter, Pjöngjang«, mit der Bitte um Rat, wie ein Leben ohne Banken und Geld zu organisieren wäre.
Reinhold Messner hat sich angeboten, in den Frankfurter Zentralbankkrater hinabzusteigen und nachzusehen, was in der Tiefe geschehen ist.
Illustration: Dirk Schmidt