Hallo, ich melde mich von Gleis 17 des Düsseldorfer Hauptbahnhofs, wo in wenigen Minuten der Intercity Richtung Norddeich/Mole über Wanne-Eickel, Gelsenkirchen, Recklinghausen und die anderen Orte »Einfahrt erhalten« wird. Noch aber ist das Gleis leer, noch starre ich auf das Angebot des grauen Automaten hier, der sich, wie mich ein Schild an seiner Front informiert, im Besitz der »Geile Warenautomaten GmbH Westerkappeln« befindet. Würfe ich etwas Geld in seinen Schacht, könnte ich ihm zum Beispiel das Heißgetränk »Chocolata Schokoladige Verführung« oder eine »Gemüsesuppe mit Croutons«, aber auch »Mezzo Mix Cola küsst Orange« sowie die bei Kindern mit Recht so beliebten »Sauren Pommes« entnehmen.
Dabei fällt mir ein, dass ich gelesen habe: Auf den Bahnhöfen in Tokio stehen Hunderte von Getränkeautomaten, an denen eine Kamera montiert ist. Mit deren Hilfe stellt der Apparat Geschlecht und Alter des vor ihn Hingetretenen fest. Sodann macht er dem Kunden auf dem Display speziell zugeschnittene Angebote. Stünde er in Düsseldorf, würde er einer älteren Dame »Schokoladige Verführung« vorschlagen, einem Achtjährigen hingegen die »Sauren Pommes«. Auch misst das Gerät die Außentemperaturen und registriert die Tageszeit, sodass, selbst wenn sich niemand vor ihm befindet, passende Werbung vom Bildschirm flackert: an kalten Tagen für heißen
Kaffee, an einem Sommernachmittag für kühles Lemonsoda. Ach, der Fortschritt … In Wahrheit ist auch dies alles nur ein Anfang. In acht Jahren, schätzt man, werden 50 Milliarden Geräte mit dem Internet verbunden sein. Wenn es dann mithilfe von Google so weit sein wird, dass eine Kamera jedes Gesicht erkennen und einem namentlich bekannten Besitzer zuordnen kann, werden alle Automaten der Welt, nicht mehr nur irgendwelche vagen, für Alter und Geschlecht passenden Konsumvorschläge machen. Nein, sie können jeden, der ihnen nahe kommt, mit Namen ansprechen und ihm exakt sein Lieblingsgetränk anbieten – und sei’s ein Cappuccino mit einem Hauch Zimt obendrauf.
Will ich das? Als ob das die Frage wäre! Niemand wird gefragt, ob er die Welt von morgen so will, wie die Welt von morgen sein wird. Nein, man fragt uns nach dem Lieblingsgetränk, sonst nix. Der New Yorker Buchautor Adam Greenfield, der sich intensiv mit der Zukunft beschäftigt, sagt, wir werden uns künftig immerzu in einem Netz von Daten bewegen, wo wir auch sind. Unsere Schuhe werden mit der Bushaltestelle kommunizieren, das heißt, der Bus wird, wenn er kommt, wissen, dass wir da sind. Außerdem werden sie ihrem Hersteller mitteilen, wenn ihre Sohlen durchgelaufen sind, der Hersteller wird sich melden. Neue Schuhe anbieten.
Tja. Klingt alles sehr fürsorglich. Als wäre die Welt von morgen eine, die uns manche Sorge abnimmt. Andererseits: Es fehlt vielleicht ein gewisses Überraschungsmoment, wenn mich schon in wenigen Jahren jeder beliebige Tokioter Getränkeautomat mit Namen anspricht. Obwohl ich noch nie in Tokio gewesen sein werde. Wie soll man da unbekannte Getränke kennenlernen?
Richtig misstrauisch müsste man aber, glaube ich, erst werden, wenn man (als Bürger Nordrhein-Westfalens) bald in Düsseldorf beim Betreten der Landtagswahlkabine von einem Computer begrüßt würde und es dann hieße: Wie wir hier sehen, haben Sie seit zwanzig Jahren nicht mehr an Wahlen teilgenommen, Sie haben neulich hundert Musikstücke kostenlos aus dem Internet gefischt und sind mal beim Schwarzfahren in der U-Bahn erwischt worden. Außerdem haben Sie online alles über Marina Weisbands Verlobung gelesen – dürfen wir Ihnen die Piratenpartei empfehlen? Das wäre irgendwie nicht richtig, oder?
Jetzt kommt mein Zug. Übrigens: Wieso heißt diese Firma »Geile Warenautomaten GmbH«? Was ist geil an ihr und ihren Automaten? Ah, der Besitzer heißt Wolfgang Geile. Im Januar ist er mit der Goldenen Uhr des Internationalen Süßwarenhandelsverbandes ausgezeichnet worden, der Westerkappelner Bürgermeister Hockenbrink hat ihm gratuliert. Steht im Internet, hab’s schnell mit dem iPhone gegoogelt. Wäre früher auch nicht gegangen.
Illustration: Dirk Schmidt