In Grzimeks Enzyklopädie las ich über den Nubischen Steinbock: »Während der Brunftzeit haben die hochgradig erregten Böcke gelegentlich spontane Samenergüsse und können mit der Penisspitze im Mund onanieren.«
Da schau her, dachte ich: Steinbock, du Nubischer! Wer hätte dir erstens Masturbation, zweitens solche Gelenkigkeit zugetraut? Andererseits: Man hätte bei etwas Nachdenken selbst drauf kommen können, dass manuelle Selbstbefriedigung bei Huftieren schwierig ist, selbst beim Bären wird sie überschätzt. »Der Kragenbär, der holt sich munter, / einen nach dem andern runter«, schrieb Robert Gernhardt. Doch werden Zoologen nicht müde zu versichern, dass auch der Kragenbär die Schnauze zu Hilfe nehme, wenn ihm danach sei, eine Praxis, die mitteleuropäischen Männern in der Regel nur nach ausgiebigem Besuch ihrer Volkshochschul-Wirbelsäulengruppe offen steht.
Natürlich liegt einem bei alledem nun sofort die Frage auf der, ähem, Zunge: Was würde Frau Lewitscharoff dazu sagen? Sibylle Lewitscharoff ist jene führende deutsche Schriftstellerin, die zum einen mit allen nur erdenklichen Preisen von Huch bis Kleist und Fleißer bis Kaschnitz ausgezeichnet wurde, zum anderen den Gedanken eines Onanie-Verbots ventilierte, jedenfalls in Fällen, in denen die Runterholerei einer künstlichen Befruchtung vorangeht. Zur Strafe muss sie nun in Interviews erklären, wann, unter welchen Bedingungen, zu welchen Zwecken Onanie angebracht sein könne und wann nicht, Problemstellungen, mit denen eine Trägerin auch des Kranichsteiner Literaturpreises nicht täglich zu tun haben sollte.
Sie sei, sagt Frau L. dann, eine Gegnerin der technischen Produktion von Leben und möge dieses »Fortpflanzungsgemurkse« nicht; sie befürworte das Natürliche. Lassen wir mal die Frage beiseite, inwieweit der natürliche Geschlechtsakt von Bürgerinnen und Bürgern stets unvermurkst und mit der geforderten Grazie absolviert wird: »Das Natürliche« ist ein weites Feld. Erst vor Kurzem brachte etwa bei einer Veranstaltung der CSU in Geretsried der Dominikanerpater Wolfgang Spindler Homosexualität und »die Auflösung der menschlichen Natur« in Verbindung, in einer Rede, bei der man gern die Gegenfrage gestellt hätte, was genau an Männern, die in zölibatärer Keuschheit zu leben vorgeben, so unglaublich natürlich sei. Beim Nubischen Steinbock jedenfalls kommt diese Verhaltensweise nicht vor.
Hingegen ist Homosexualität in der Natur geläufige Praxis, von der Spinne bis zum Elefanten, vom Löwen bis zum Zwergkakadu (Schwulenquote bei 40 Prozent!), vom Delfin ganz zu schweigen, der auch ein begabter Onanist ist; selbst wenn er von der Navy beim Bergen von Torpedos eingesetzt wird, nutzt er die Waffen zum Vergnügen. Habe ich erzählt, dass Ochsenfroschforschern bei Exkursionen im Urwald reihenweise onanierende Ochsenfrösche um die Ohren flogen, als sie bei selbst herbeigeführten Ochsenfroschorgasmen explodierten wie Silvesterböller?
Noch ein Wort zu Russland. Kaum irgendwo scheint zurzeit die Homophobie weiter verbreitet zu sein. In einer Reportage von der Krim las ich den Ruf eines pro-russischen Uniformierten: »Wir wollen nicht in dieses Schwulen-Europa. Damit uns nicht diese Homoehe aufgezwungen wird. Ich habe gesehen, dass ein hochrangiger Beamter in der EU in einer Homoehe lebt. Ich will nicht, dass meine Kinder schwul und lesbisch werden.«
Ja, nun, liebe pro-russische Uniformierte, es ist nun mal so. Wir sind hier alle schwul, das ist die reine Wahrheit, was soll man machen? Es ist bei uns so Vorschrift: Brüssel, ihr wisst schon. Am Anfang fanden wir’s seltsam, aber jetzt haben wir es gern, hier ist das ganze Jahr Brunftzeit, und wenn wir Wladimir Wladimirowitsch so sehen, mit entblößten Oberkörper auf dem Motorrad – hach!
Es lebe das vereinigte und sich täglich weiter vereinigende, unentwegt herummurksende, freie (und natürlich schwule), seine Schriftstellerinnen mit Preisen aller Art behängende, insgesamt ganz und gar hemmungslose Europa!
Illustration: Dirk Schmidt