Nun ist es zwei Wochen her, dass man die Abschaffung von Wetten, dass...? verkündete, und noch immer ist das Land wie gelähmt. Es ist, als habe man uns nicht nur eine Sendung genommen, sondern gleich den ganzen Samstagabend dazu, als gehe künftig der Samstag- nachmittag direkt in die Nacht über; man legt sich dann gleich nach der Sportschau schlafen. Nein, da wird nichts mehr sein, auf das man sich den Tag über freuen kann, und nichts, über das am Sonntag zu reden sich lohnte. Was wollt ihr uns noch nehmen?! Die Sportschau? Den Fußball? Wir sind doch schon am Boden. Sollen wir abends nur noch Kommissarsendungen schauen? Kochshows? Uns mit der Datenvorratsbespeicherung befassen oder wie das heißt? Es muss doch auch was Schönes geben!
Als das Ende bekannt wurde und die Sache sich herumzusprechen begann, liefen bei uns in der Straße die Menschen spontan auf die Straße und begannen gemeinsam zu weinen. Ich habe so etwas nicht mehr erlebt, seit hier im Viertel die braune Biomülltonne eingeführt wurde. Aber damals war es schäumende Euphorie, die uns draußen zusammentrieb und tanzen ließ: die Tonne, die Tonne, jaaa … Nun hielten wir uns an den Händen und waren im Jammer vereint.
Es ist ja nicht nur so, dass den Menschen der Samstagabend genommen wurde, der große, gemeinsame Samstagabend, ohne den ein Volk nichts Geeintes mehr ist, sondern nur noch eine zufällig versammelte Menschenmenge. Man muss auch die Frage stellen: Was wird aus unseren ohnehin maroden und viel zu teuren Stadthallen, aus denen heraus diese Sendung regelmäßig ausgestrahlt wurde? Und was geschieht mit jenen vielen Menschen, die nichts können, als mit der Kraft ihrer Bauchmuskeln kleine Schaumbären in Mini-Basketballkörbe zu schießen? Mit den Männern, die metallene Bratpfannen zusammenrollen, als wären sie aus Papier? Oder die zwei Trompeten gleichzeitig spielen können, während auf beiden Trompeten je zwei volle Maßkrüge stehen?
Seit zehn Jahren übe ich, mit jedem meiner zehn Finger gleichzeitig einen jeweils anderen Text zu schreiben, innerhalb von zwei Minuten zehn Geschichten gleichzeitig. Jetzt wäre ich so weit – und nun soll das alles umsonst gewesen sein? Bin ich denn gar nichts wert, dass man mich so herumschubst?
Thomas Gottschalk hat über das Ende von Wetten, dass...? gesagt: »Die Dinosaurier wollten auch nicht aussterben, aber es brauchte sie keiner mehr.« Das ist insofern ein interessanter Satz, als er voraussetzt, dass Dinosaurier jemals gebraucht worden wären. Dem war aber nicht so. Niemand hat zu Zeiten, als es die Dinosaurier gab, Sauriermilch getrunken, Saurierleberkäs gegessen oder Dinotaschen aus gegerbter Saurierhaut getragen. Vom Zweckstandpunkt her betrachtet, waren die Saurier eine einzige Katastrophe, ja, man kann die Frage stellen: War es ihnen nicht selbst wurscht, ob es sie gab oder nicht?
Nein, die Dinosaurier werden erst gebraucht, seit sie ausgestorben sind. Man denke nur an die vielen Dinosaurier-Ausstellungen in den Museen der Welt, die Legionen von Saurierforschern überall, die Millionen von Kindern, die mit kleinen Dinos spielen, Saurierbücher betrachten und Saurierfilme sehen. Gerade weil es die Dinosaurier nicht mehr gibt, sind sie aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken, schon allein übrigens aus dem Grunde, dass es unsere Welt zu Zeiten der Dinosaurier noch gar nicht gab.
Vorstellbar nun: Schon bald wird es die erste Wetten, dass...?-Ausstellung im Victoria and Albert Museum in London geben, Kinder werden mit kleinen Plastikfiguren von Lego oder Playmobil Wetten nachspielen, es wird einen Mode-Hype um jene seltsamen Anzüge geben, die Gottschalk immer trug, und am Frank-Elstner-Institut für Wettendassgeschichte wird man eine Markus-Lanz-Professur für Zeigefingerforschung einrichten. Wenn man Gottschalks Satz nur richtig interpretiert, kommt die große Zeit erst noch. Wetten, dass...?
Illustration: Dirk Schmidt