In einer Ehe kämpft man kleine und große Kämpfe, und jeder nutzt dabei seine besten Waffen. Paolas Hauptwaffe ist ihre überwältigende Beredsamkeit, meine eine gewisse Zähigkeit oder sagen wir: Denken in langen Zeiträumen.Ich möchte das an einem Beispiel erläutern. Jahrelang hatten wir einen Stuhl im Schlafzimmer, einen mit weißem Stoff bezogenen Stuhl. Ich glaube, ich habe nie auf diesem Stuhl gesessen, und auch Paola hat, soweit ich mich irgend erinnern kann, nie Platz da-rauf genommen. Trotzdem stand er da, bis Paola eines Tages sagte, es gefalle ihr nicht, dass der Stuhl im Schlafzimmer stehe. Ich sagte, es gefalle mir schon, doch sie wiederholte, es gefalle ihr nicht, es sehe so unordentlich aus.»Wieso sieht es unordentlich aus, wenn da ein Stuhl steht?«, fragte ich.»Weil du immer deine Sachen darauf ablegst!«»Aber irgendwo muss ich meine Sachen ablegen.«»Du könntest sie auch in den Kleiderschrank tun.«»Warum soll ich eine Hose in den Kleiderschrank tun, wenn ich sie morgen wieder anziehen will?«»Weil’s ordentlich ist. Ein Stuhl ist zum Sitzen da, aber auf dem Stuhl kann niemand sitzen, weil immer Sachen darauf liegen. Das mag ich nicht. Das ist der Grund, weshalb du die Sachen in den Schrank tun sollst: weil ich es möchte. Weil es mich zufrieden machen würde. Weil du mich über alles liebst und willst, dass ich zufrieden bin.«Ich machte ein Geräusch, an das ich mich nicht mehr genau erinnere, und ein paar Tage später stand der Stuhl neben der Wohnungstür. Paola hatte einen Zettel da-ran befestigt, auf dem stand: »Bitte in den Keller!« Und ich brachte den Stuhl in den Keller. Ich tat etwas, was ich für falsch hielt. Ich machte mich zum Werkzeug des Willens meiner Frau.Aber ich gab damit meine eigenen Ziele nicht auf. Ich wusste, dass eines Tages wieder ein Stuhl in unserem Schlafzimmer stehen würde – weil es sinnvoll ist, dass da ein Stuhl steht. Ich bin nämlich im Gegensatz zu Paola keineswegs der Auffassung, dass ein Stuhl nur zum Sitzen da ist. Man kann auf einem Stuhl sitzen. Man kann sich zum Beispiel aber auch nur vorstellen, dass auf einem Stuhl jemand sitzt. (Ein ganzes Drama von Ionesco heißt Die Stühle und besteht unter anderem darin, dass man sich vorstellen muss, wie auf leeren Stühlen des Bühnenbildes Menschen sitzen.) Man kann drittens sowohl auf das Sitzen als auch auf die Vorstellung des Sitzens verzichten und dem Stuhl ganze Bedeutungsdimensionen hinzufügen, indem man Sachen auf ihm ablegt, so wie Paola unseren Esstisch keineswegs nur zum Essen nutzt, sondern auch, um ihn mit Briefen der Krankenversicherung zu bedecken. Und wie Luis den Fußboden seines Zimmers nicht seinen Füßen vorbehält, sondern ihn so mit Legosteinen, Klamotten, Büchern und Spielkarten bedeckt, dass seine Füße dort gar keinen Platz mehr finden. Was dem Esstisch und dem Fußboden recht ist, sollte einem Schlafzimmerstuhl billig sein. Das nur nebenbei.Es kam jedenfalls der Tag, an dem wir Gäste hatten. Wir haben normalerweise nur vier Stühle um den Esstisch stehen. Ich ging in den Keller und holte weitere Stühle, da-runter den erwähnten, mit weißem Stoff bezogenen Ex-Schlafzimmerstuhl.Als die Gäste gegangen waren, stellte ich diesen wieder ins Schlafzimmer. Legte eine Hose und einen Pullover darauf, die ich beide am nächsten Tag wieder zu tragen beabsichtigte. Ich gab dem Stuhl auf diese Weise etwas Unauffälliges, charmant Dahingestelltes, Schonimmerdagewesenes.Paola hat noch gar nicht bemerkt, dass er wieder da ist, der Stuhl. Oder sie hat im Moment nicht die Energie, mich wieder mit ihm in den Keller zu schicken. Oder sie erkennt nun auch die Vorteile eines solchen Stuhls neben unserem Kleiderschrank.Wahrscheinlicher ist, dass sie bald auf die Sache zu sprechen kommt. Wahrscheinlich ist, dass der Stuhl wieder im Keller landet. Ganz sicher ist, dass wir mal wieder Gäste haben.