Das Beste aus meinem Leben

Letzthin musste ich wieder an Kurti denken, unser Meerschwein. Beziehungsweise unser Ex-Meerschwein, wie man seit einer Weile sagen muss.Ich weiß nicht mehr, warum ich an ihn dachte, ich glaube, es war, weil ich den Schuppen in unserem kleinen Garten draußen auf dem Land hatte aufräumen müssen. Da stand in einer Ecke Kurtis alter Käfig herum, in dem er mal die Sommerferien verbracht hatte, sechs Wochen lang hatte er auf der Veranda gestanden, immer umschlichen von den Katzen und vielleicht nachts auch von Füchsen und Mardern, und wer weiß schon, ob nicht mal ein Problembär um die Ecke schaute. Jedenfalls weiß ich nicht, ob die Sommerferien für Kurti so schön waren wie für uns, ich glaube nicht. In der Nachbarschaft hatte mal ein Jagdhund ein Kaninchen aus dem Stall heraus gefressen, es war ein entsetzliches Erlebnis für die Kinder, denen das Kaninchen gehört hatte, vor allem aber natürlich für das Kaninchen selbst.Aber das ist nicht der Grund, warum Kurti nicht mehr bei uns wohnt. Es war vielmehr so, ähem, dass er nicht zu uns passte. Der Luis, dem er gehörte, kümmerte sich nicht genug um ihn. Ich kümmerte mich auch nicht genug um ihn. Und Paola, die sich dauernd um ihn kümmerte, sagte, wir hätten nun Baby Sophie in der Wohnung, da könne sie es nicht ertragen, dass ein Tier auf dem Flur lebe.Also musste Kurti draußen auf dem Hausflur vor sich hin existieren, aber das ging nicht auf Dauer, und außerdem sagten alle Leute, die was von Meerschweinchen verstehen, dass Meerschweinchen nicht alleine leben wollen, es sind Herdentiere, keine Singles, auch deutsche Meerschweinchen. Nur der Zoohändler hatte davon nichts gesagt, er hat wohl keine Ahnung von Meerschweinchen.»So geht es nicht mit Kurti«, habe ich eines Tages gesagt. »Es ist kein schönes Schicksal für ein Meerschwein, so zu leben, allein und auf dem Flur.«»Er ist mein Meerschwein«, sagte Luis. »Er soll nicht weg.«»Du kümmerst dich nicht um ihn«, sagte ich. »Nie fütterst du ihn.«»Gestern habe ich ihn gefüttert.«»Das erste Mal seit vier Wochen.«»Ich vergesse es halt manchmal.«»Eben«, sagte ich.»Eben«, sagte Kurti.»Wie bitte?«, sagte ich.»Eben.«Es war das einzige Wort, das unser Meerschwein je sagte, aber ich habe es deutlich gehört, und in dem Moment stand fest: Kurti und wir müssen uns trennen.Gott sei Dank gab es auf dem Land, nicht weit von München, einen Bauernhof, auf dem bereits mehrere vom Stadtleben enttäuschte Meerschweinchen-Frauen lebten, die sich bereit erklärten, Kurti zu sich zu nehmen. Eines Tages bog ein sehr kleiner Lieferwagen in unsere Straße, etwa so groß wie ein Umzugskarton. Auf diesem Gefährt stand »Problem-Meerschweinchen-Abhol-Express«. Ich ließ mir vom Chauffeur (einem ältlichen, mürrischen Hamster mit Schiebermütze) den Dienstausweis zeigen, damit alles seine Ordnung hatte. Dann verabschiedeten wir uns unter Tränen von unserem Kurti, und weg war er.Und jetzt weiß ich wieder, warum ich letzthin an ihn denken musste. Wir haben Post von ihm bekommen, einige schöne Fotos, die ihn im neuen Leben zeigen.Kurti mit einer großen Schürze am Herd einer Meerschweinchenküche. Kurti mit dem Staubsauger in der Pfote in einem Meerschweinchenwohnzimmer. Kurti, einen Kinderwagen schiebend, vor dem Eingang zu einem Meerschweinchenspielplatz. Und, sehr aktuell, Kurti auf einem Sofa liegend vor einem Fernseher, der ein Fußballspiel zeigt – und was hält er in der Pfote, der Kurt?Eine Deutschlandfahne.Er habe sich, schreibt er ungelenk und nicht orthografiesicher, »für ein Leben als neuer Man entschieden und für einen aufgeklarten, mohdernen Pathriotissmus«.Ach, wie viele Haustiere müssen unter unzureichenden Lebensbedingungen leiden! Ist es nicht schön zu wissen, dass dieses eine es geschafft hat in ein besseres Leben?

Illustration: Dirk Schmidt