Das Beste aus meinem Leben

Weil Luis den zehnten Geburtstag nicht hatte feiern können (da lag er im Krankenhaus, nach einer Blinddarmoperation), hatten wir uns für den elften was Besonderes ausgedacht. Luis hatte elf Freunde eingeladen. Mit denen war ich vormittags Fußballspielen gegangen. Dann gab es Essen. Nachmittags hatte uns mein Freund Carlo, der ein kleines Kino mit drei sehr kleinen Sälen besitzt, einen Saal zur Verfügung gestellt, damit die elf Freunde und Luis sich einen Film anschauen konnten. Die DVD hatte Paola besorgt: Chaoscamper mit Robin Williams, von der Kritik als »mit Fäkal-Humor gewürzte Trivial-Komödie« gewürdigt. Also genau das Richtige für uns.Als ich um zwei Uhr mit den Buben vom Essen ins Kino kam, war Carlo mit seinen Vorführmaschinen beschäftigt. Er sagte, die DVD, die Paola ihm gegeben habe, laufe nicht auf seinem Abspielgerät; er werde schnell ins Kaufhaus gegenüber laufen und eine andere DVD mit demselben Film holen, es müsse an der DVD liegen.Carlo ging. Ich verteilte Süßigkeiten an die Buben.Carlo kam wieder. Aber die andere DVD mit demselben Film lief auch nicht.»Lass uns mal die Filme ansehen, die ich dahabe, vielleicht ist was dabei«, sagte er. Die Buben spielten Fangen im Kino, während wir Carlos Filmsammlung betrachteten, schöne Filme von Almodóvar bis Zeffirelli. Leider nichts für Buben dabei.Es war halb drei. Wir hatten zwölf Elfjährige in einem Kino und keinen Film. Carlo schwitzte und sagte, er werde einen Freund anrufen und dessen DVD-Spieler holen. Ich schwitzte auch und sagte, ich werde mit Luis ins Kaufhaus gegenüber gehen. Einen anderen Film holen.Ich warf die restlichen Süßigkeiten unter die Buben, nahm Luis und rannte ins Kaufhaus. In den vierten Stock. Nervös ging ich an den Regalen entlang, entnahm irgendeinen Kinderfilm, zerrte einen zweiten heraus für den Fall, dass der erste nicht funktionierte, raffte einen dritten an mich für den Fall, dass der zweite nicht lief. Für den Fall, dass es mit dem dritten auch nichts würde, wusste ich keine Lösung. Ich ging mit Luis und den DVDs an die Kasse. Während der Kassierer noch mit meiner EC-Karte hantierte, gab ich Luis die DVDs und sagte: »Lauf schon ins Kino und gib sie Carlo, damit’s losgehen kann.« Er wieselte davon, zur Rolltreppe.Ich zahlte und ging auch. Es war zehn vor drei. Im Kino bewarfen sich die Buben mit Popcorn und Pappbechern. Carlo stand wieder im Technikraum und hantierte mit dem DVD-Spieler seines Freundes. »Mit dem könnte es was werden«, sagte er. »Es lag am Gerät, nicht an der DVD.«Auf der Leinwand lief schon Chaoscamper, bloß auf Englisch. Carlo eilte zwischen Saal und Technik-Kabuff hin und her, drückte auf einer Fernbedienung herum, murmelte »Warum?« und »Ihr müsst Deutsch sprechen!« Drei Uhr. Ich sagte: »Warum nimmst du nicht einen von den anderen Filmen? Die Luis dir gebracht hat.«Er schaute mich an und sagte: »Wo sind die denn?«Ich schaute ihn an und sagte: »Wo ist denn Luis?«»Keine Ahnung.«Ich rannte zum Kaufhaus. Dem Mann am Info-Stand ächzte ich ins Gesicht: »Ich suche meinen Sohn. Er ist elf. Er heißt Luis.« Der Mann griff zum Telefon, wählte und sagte: »Der Vater ist hier.« Er schickte mich in ein Büro im obersten Stock. Das Büro des Kaufhausdetektivs. Luis saß auf einem Stuhl. Der Detektiv sagte: »Ihr Sohn wollte drei DVDs stehlen.« Ich sagte: »Ich kann alles erklären.«Dann erklärte ich es. Zeigte die Quittung. Wir durften gehen. Luis war nicht traurig, ängstlich, nervös. Er hatte sich die ganze Zeit mit dem Detektiv über das Verhaften von Verbrechern unterhalten. Ich finde, das Wichtigste an einem Kindergeburtstag ist ein nervenstarker Sohn.Halb vier. Die Freunde im Kino waren in einer merkwürdig lethargischen Stimmung. Carlo hatte ihnen zwanzig Minuten lang die ukrainische Variante der Chaoscamper gezeigt, nun hatte er die deutsche Übersetzung gefunden. Ein sehr lustiger Film. Wir sahen ihn an.

Illustration: Dirk Schmidt