Eigentlich würde ich gerne auch mal wieder fernsehen. Ich weiß nur nicht: wie?Wenn ich aus dem Büro heimkomme, ist es ungefähr 18 Uhr. Wir treffen uns dann alle in der Küche, um dies und jenes für das Abendessen vorzubereiten. Im Übrigen ist dies die Stunde, in der Sophie für zwanzig Minuten vor dem Fernseher sitzen darf, um eine DVD mit Pauli, der Maulwurf oder Mausi oder Teletubbies zu sehen. Um sieben gibt es dann Essen.Danach darf der Luis fernsehen, eine halbe Stunde, meistens SpongeBob Schwammkopf. Paola und ich räumen in der Zeit die Küche auf und spielen ein bisschen mit Sophie oder lesen ihr was vor, um sie von SpongeBob fernzuhalten, das macht ihr schlechte Träume.Ehrlich gesagt, habe ich manchmal gute Träume davon, in dieser Zeit Tagesschau sehen zu können, aber das geht nicht, da läuft eben Schwammkopf, das will ich dem Buben nicht nehmen. Um Viertel nach acht ist die Sendung zu Ende. Danach bringen wir die Sophie ins Bett. Und der Luis spielt noch ein bisschen Lego oder Game Boy oder er badet. Das wäre im Grunde die Zeit, in der ich fernsehen könnte. Aber was soll das für einen Sinn haben? Ich müsste nach einer halben Stunde wieder aufhören, denn wenn der Luis fertig ist mit dem Lego, dem Game Boy oder dem Bad, dann muss er ins Bett, und bevor er einschläft, lesen wir immer zusammen ein Buch, zurzeit Bartimäus von Jonathan Stroud.Luis liest nämlich zu selten Bücher, immer noch, daran hat sich nichts geändert, aber weil sich mal was ändern soll, haben wir vor einer Weile beschlossen, dass wir wenigstens zusammen ein Buch lesen. Er sollte ein Kapitel lesen, dann ich eines, dann wieder er eines. Aber nach einer Weile habe ich dann alleine gelesen, weil ich so gerne lese und er eher ungern. So dient das Lesen wenigstens dem Zusammenhalt von Vater und Sohn, das ist auch etwas. Andererseits: Vielleicht bin ich auch nur eine Art lebendes Hörbuch für ihn?
Wenn er dann schläft, ist es Viertel nach neun. Ich gehe ins Wohnzimmer, wo Paola manchmal gerade einen Film sieht und fragt, ob ich ihn nicht mit ihr zusammen anschauen will. Aber ich mag es nicht, Filme zu sehen, deren Anfang ich nicht gesehen habe, ich schlafe dann ein, weil ich die Handlung nicht verstehe. Paola sagt, sie könne auch eine DVD mit einem Film besorgen, den könnten wir dann von Anfang an gemeinsam sehen. Aber ich mag es nicht, Filme zu sehen, deren Ende ich nicht sehen kann. Und wenn ich um halb zehn beginne, einen Film zu sehen, werde ich dabei einschlafen, vor dem Ende, auf dem Sofa, das weiß ich. Man könnte natürlich auch einen zweiten Fernseher anschaffen, der müsste dann aber im Schlafzimmer stehen, ich müsste auf dem Bett liegend fernsehen und würde natürlich erst recht einschlafen.Eine ausweglose Lage.Oft sieht Paola natürlich auch nicht fern, dann blättere ich ein wenig im Fernsehprogramm, aber ich finde nie etwas, was mich interessiert. Früher, als es nur drei Fernsehprogramme gab, fand ich immer etwas, was mich interessierte, seltsam, nicht wahr? Welchen Grund hat das?Ich glaube, letztlich ist das Fernsehen heute inhaltlich ohne jede Bedeutung. Es ersetzt den Menschen vor allem das Lagerfeuer und dessen Faszination. Wenn ein Feuer brennt, muss man hinsehen; mit dem Fernsehen ist genauso. Und irgendwann haben die Fernsehmacher mal gemerkt, dass es so ist, und ihre Anstrengungen beim Fernsehmachen radikal heruntergeschraubt. Wozu sich anstrengen? Die Leute glotzen ja ohnehin, Hauptsache, das Licht auf dem Bildschirm bewegt sich. Das ist meine Theorie. (Diesen Gedanken habe ich übrigens, jedenfalls zur Hälfte, aus einem Buch, Stille von Tim Parks.)Bloß ich glotze eben nicht. Wobei, wie gesagt: Ich würde ja gerne mal wieder. Ich bin auch nur ein Mensch. Ich möchte mich auch mal wieder am Fernsehfeuer wärmen … Es geht bloß nicht, seit mehr als zehn Jahren geht es nicht mehr, das Leben hält mich vom Fernsehen ab, ich träume von einem normalen spießigen Fernsehabend, wie ihn meine Eltern fast jeden Abend zu haben pflegten. 20 Uhr Tagesschau. Es ist so lange her für mich. Wann habe ich die Tagesschau das letzte Mal gesehen? Vergessen, alles vergessen. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie Karl-Heinz Köpcke aussieht.
Illustration: Dirk Schmidt