Ab in die Ferien, nach Sizilien! Zu diesem Zweck erheben Paola und ich uns um halb sechs, wecken mühsam die Kinder, beruhigen die müde greinende Sophie, schleppen sechs Gepäckstücke, einen klappbaren Kinderroller und einen Buggy treppab und laden alles ins Auto des Opas, der uns flughafenwärts fährt.
Allein schon den Überblick über so viel Gepäck zu behalten finde ich anstrengend. Man fühlt sich wie ein Hirte. Immer hat man Angst, es könnte genau die Tasche verschwinden, in der sich das unersetzliche Kuschelplüschpferd befindet, ohne das Sophie nirgends auf der Welt einschlafen könnte, sondern sich in ein »Pferd! Pferd! Pferd!« schreiendes Monster verwandeln würde, ein tief verzweifeltes Monster übrigens, wenn Sie wissen, was ich meine… Oder jene andere Tasche, in der sich das Aufladekabel des Handys befindet – weg! Eine weitere mich beherrschende Furcht ist, erst am Flughafen zu merken: Luis’ Kinderausweis ist zwei Tage zuvor abgelaufen, er ist ungültig, wir müssen umkehren. Und habe ich die EC-Karte, das Urlaubsgeld, die Reservierungsnummer, den Hausschlüssel?
Am Flughafen: Gewimmel. Ausladen. Gepäckwagen suchen. Umladen. Schalter suchen. Wo ist Luis? Auf Sophie achten. Mit Paola streiten, welche der Schlangen vor den Schaltern die kürzere ist. Paola sagt, sie werde mit Sophie ein bisschen weggehen, die Schlange, die ich ausgewählt hätte, sei sehr lang, es werde dauern. Ich sage, es werde nicht sooo lange dauern, und wenn ich dran sei, und sie weg, was dann..? Sie sei in der Nähe, sagt sie. Und sie habe ein Handy. Luis hat Durst und will sich etwas zu trinken holen; er geht, ohne zu fragen.
Muss ich hier am Schalter alles allein machen? Ja.
Ich schiebe Gepäckstücke, denke an Pferde, Ausweise, Reservierungsnummern, Aufladekabel, an meinen Vater. Wir hatten kein Auto, fuhren mit der Bahn in Richtung eines Ostsee-Ortes: drei sich streitende Kinder, vier Koffer und die Eltern, mussten zweimal umsteigen und standen dann auf dem Bahnhof eines Städtchens, von dem aus nur Linienbusse in ein noch kleineres Städtchen fuhren, von dem mit anderen Linienbussen unser Urlaubsdorf zu erreichen war. Nur fuhr in den nächsten zwei Stunden kein Linienbus, so dass wir in gleißender Sonne vorm Bahnhof standen, drei sich streitende Kinder, vier Koffer und die Eltern, welche sich ins Streitgespräch über Autobesitz, Taxikosten, den Sinn von Ferien vertieften…
Ich bin gleich dran. Rufe Paola. Schreie: »Luis!« Hieve Gepäck aufs Band. Den klappbaren Kinderroller muss man beim Sperrgepäck abgeben. Wo ist das? Da hinten.
Sophie blutet plötzlich am Finger, unglaublich, aber wahr, sie hat sich irgendwie am Gepäckwagen verletzt. Wie ist das möglich? Jetzt! Sie weint. Paola sucht die Flughafenapotheke, um Pflaster zu besorgen. Wo ist das Sperrgepäck noch mal? Luis ruft was, aber ich kann mich jetzt nicht um ihn kümmern, dauernd will er was, ich muss das Sperrgepäck finden. Den Überblick behalten. Da, ein Info-Schalter. Luis zupft mich am Ärmel und ruft wieder.
»Gleich!«, sage ich, »gleich!«
»Wo ist der Sperrgepäck-Schalter?«, frage ich am Info-Stand. Dort drüben. Aber dort ist niemand. Luis steht zwanzig Meter entfernt und ruft. Soll ich wieder zum Info-Stand gehen? Ich warte. Paola kommt mit der Kleinen zurück, die hat ein Pflaster. Ich sage: »Unglaublich, dass jetzt der Sperrgepäck-Schalter nicht besetzt ist!«
Da kommt ein Arbeiter, schiebt einen großen Wagen voller Sperrgepäck. »Warum haben Sie nicht getan, was Ihr Sohn gerufen hat?«, fragt er.
»Ich weiß gar nicht, was mein Sohn gerufen hat.«
»Dass dies der Wagen für das Sperrgepäck ist.«
Er fängt an, Gepäck auf ein Förderband zu legen.
»Soll das eine Ermahnung sein?«, frage ich.
»Geben Sie her!«, sagt er.
»Sind Sie schon mal mit einer Frau, zwei Kindern, sechs Gepäckstücken, einem klappbaren Kinderroller und einem Kinderbuggy in Urlaub geflogen?«, frage ich erregt.
Er arbeitet weiter.
»Ich…«, beginne ich. Paola zieht mich weg und lacht.
»Du wirkst hilflos«, sagt sie.
»Ich bin nicht hilflos«, sage ich. »Mir ist dieses Leben manchmal nur zu anstrengend.«
»Du führst es aber trotzdem«, sagt sie und führt mich an die Kaffeebar.
Illustration: Dirk Schmidt