Immer wieder flackert die Diskussion über die Anschaffung eines Haustieres auf, entzündet von Luis, der wenigstens eine Schildkröte möchte.
»Weißt du, wie alt Schildkröten werden?«, frage ich dann. »Wenn wir eine Schildkröte kaufen, werden noch deine Enkel mit der Pflege beschäftigt sein.«
»Dann einen Hund!«
»Und wer geht mit dem Gassi?«
»Ich.«
»Das glaube ich dir nicht.«
»Aber wieso?!?!«
Da komme ich zurück auf das zeitweise empörende Schicksal des Meerschweinchens Kurt, das sich in unserem Besitz befand und um das sich am Schluss ÜBERHAUPT NIEMAND mehr kümmerte, so- dass es auf einen Bauernhof im Chiemgau umzog, wo es kürzlich nach allerdings noch zwei erfüllten Jahren starb. Damit ist die Diskussion beendet, jedenfalls von meiner Seite.
Gelegentlich denke ich aber doch nach, wie ein Hund unser Leben verändern würde. Erst kürzlich las ich das Buch Hunde, die Geschichte schrieben von Stanley Coren. Es geht darin um Hunde berühmter Menschen, von Richard Wagner bis Bill Clinton, wobei meine Lieblingsgeschichte die von Sigmund Freuds Chow-Chows ist, die sich an seinen Geburtstagen mit der Familie um einen großen Tisch versammelten, dort auf Stühlen saßen und – wie Freud selbst bei diesem Anlass – je einen Papierhut trugen. »Um den Hals eines der Hunde«, schreibt Coren, »hing ein Umschlag mit einem Gedicht, das Anna (Freuds Tochter, Anm. d. Verf.) geschrieben, aber im Namen eines der Hunde unterzeichnet hatte. Dann las Sigmund das Gedicht laut und mit ausgeprägter Betonung vor, dankte dem Hund und bot ihm die erste Scheibe des Geburtstagskuchens an.«Übrigens nahm Freud seine Hunde mit zu den Therapiesitzungen, was sich erstens gut auf die Atmosphäre ausgewirkt haben soll. Zweitens musste er nicht auf die Uhr schauen, denn Chow-Chow Jofi erhob sich stets nach exakt fünfzig Minuten, gähnte und ging zur Tür.
Meine Lieblingsgeschichte in dem Buch ist aber die von Heinrich VIII., der den Kardinal Wolsey zu Papst Clemens VII. schickte, damit er um die Annullierung seiner Ehe mit Katharina von Aragón bat. Wolsey verhandelte erfolgreich, lockte den Papst mit viel Geld, betrat dann zur letzten Audienz den Thronsaal des Papstes, wie üblich in Begleitung seines Greyhounds Urian, der neben der Tür Platz nahm. Der Papst wollte nun unbedingt den (ja sehr richtigen) Eindruck seiner Bestechlichkeit vermeiden und verlangte deshalb von Wolsey eine besonders devote Geste: Er solle ihm die Zehen küssen. Clemens reckte also dem Kardinal seinen Fuß entgegen – was Hund Urian als Angriff auf sein Herrchen missverstand, weshalb er nach vorne raste, einige Würdenträger und den Papst-Thron umriss, um herzhaft in den ausgestreckten Papstfuß zu beißen, mit der Folge, dass der Gebissene die Annullierung der Ehe verweigerte. Bekanntermaßen veranlasste dies wiederum Heinrich VIII. in seiner Wut zur Gründung seiner eigenen Church of England, die seine Ehe flugs annullierte – weshalb sich die Frage stellt, ob es heute eine Anglikanische Kirche gäbe, wenn nicht damals ein Hund namens Urian den Papst gebissen hätte.
Coren behandelt diese Episode in dem Kapitel Wie wäre die Geschichte ohne Hunde verlaufen?, eine Frage, die sich jedermann von Zeit zu Zeit vorlegen sollte, auch jene Radrennfahrer zum Beispiel, die beim spanischen Dopingdoktor Fuentes ihr Blut deponierten, wo es jeweils unter den Namen ihrer Hunde archiviert wurde. Man fasst es nicht! Dass die verlogene Radlerbande ausgerechnet hier zu faul war, sich ein neutrales Tarnwort für ihre Blutbeutel auszudenken, sondern stattdessen mit ihren Hundenamen erstklassige Spuren zu sich selbst legte.
Bruno, mein alter Freund, hat seit einer Weile eine Hündin, Fidelia heißt sie, ein reizender Mischling, der sofort, wenn wir zu Besuch kommen, sich vor der kleinen Sophie in die stabile Seitenlage legt und gekrault zu werden verlangt. Gott, für so einen Hund würde ich an hohen Feiertagen auch einen Papierhut tragen! Fidelia. Jeden Morgen, wenn Sophie frühstückt, möchte sie neuerdings ein Fidelia-Brot essen, das ist ein Brot mit Philadelphia-Frischkäse, der aber bei ihr nur Fidelia-Käse heißt, womit nun doch ein Hund den Weg ins unser Haus gefunden hat, wenn auch nur mit seinem Namen, nicht mit Gebell und Fleisch und Blut, bloß als Wort – sind wir nicht eine seltsame Familie?
Illustration: Dirk Schmidt