Was das Kinderhaben angeht, so gibt es schöne, nicht so schöne und gemischte Momente. Ein schöner Moment ist zum Beispiel, wenn die kleine Sophie mich »Papper« nennt, immerzu nennt sie mich »Papper«, weil sie denkt, das Wort »Papa« sei nur ein ungenau ausgesprochenes »Papper«, so wie man zum Beispiel, wenn man schnell spricht, ja auch »Männa« sagt und nicht »Männer«.Nun mal ein gemischter Moment: Du liegst noch im Bett, deine Frau ist bereits aufgestanden, du dämmerst dahin – da stürzt plötzlich deine Tochter ins Zimmer, »Schau mal, Papper! Schau mal, Papper!« rufend, vor dein Bett, und vor dein Gesicht eilt sie hin, um direkt unter deine noch geschlossenen Augen und die aber wie immer geöffnete Nase ein gefülltes Töpfchen zu halten. Und du äußerst dich, aus dem Nirwana sofort ins äußerste Hiesige gestürzt: lobend. Denn das Kind muss ja auf seinem Wege weg von der Windel, hin zum Abort gefördert, gestützt, animiert werden.Andererseits denkst du ganz unverblümt (und das ist eben das Gemischte): »Nun ja..!«Zu den schönen Momenten gehören für mich alle, die mit dem Sprechenlernen zu tun haben. Das liegt an meinem Beruf: Ich nehme an, ein Polizist betrachtet sein Kind besonders beglückt, wenn es zum ersten Mal Räuber und Schandi spielt, ein Bäcker freut sich über die ersten Plätzchen des Kleinen und der Metzger betrachtet erfreut den noch zahnlosen Sohn, wenn er die erste Weißwurst zuzelt oder gar schon früh ein kleines Tier des Lebens beraubt, eine Mücke zum Beispiel.Ich aber freue mich an Wörtern. Ich rätsele, wenn meine Tochter morgens beim Rasieren zu mir sagt: »Gell, du hast einen Arzt im Gesicht.« Bis ich verstehe, dass sie Bart gemeint hat. Ich lache, wenn die Sophie statt Tomate »Ponati« sagt, und sage fortan selbst nur noch »Ponati« statt Tomate. Es macht mir Spaß, wenn sie zum Opa »Oper« sagt; sofort nenne ich die Pizza nur noch »Pizzer« und verlange dazu ein »Cocer-Coler«.Übrigens habe ich dem Luis neulich Ludwig Thomas Geschichte vom Münchner im Himmel erzählt und bin an die Stelle gekommen, wo der Alois etwas zu trinken haben möchte, ein Bier, aber es wird ihm vom Petrus nur ein Manna versprochen, und der Alois schreit: »Ja, was glaab’n denn Sie? Weil Sie der liabe Good san, müaßt i singa, wia’r a Zeiserl, an ganz’n Tag, und z’trinka kriagat ma gar nix! A Manna, hat der ander g’sagt, kriag i! A Manna! Da balst ma net gehst mit dein Manna!«»Weißt du eigentlich, was ein Manna ist?«, habe ich dann den Luis gefragt.»Das sind doch diese Haselnussschnitten, die es immer beim Skifahren gibt«, hat er gesagt. Denn er hatte Manner verstanden, wie das eben so üblich ist in unserer Familie.Mit einer sprechen lernenden Tochter zusammen wird man selbst wieder zum Kind. Das Kind redet in dir, und du hörst dich selbst im Kind reden, zum Beispiel wenn sich die kleine Sophie vor dem verhältnismäßig großen Luis aufbaut, den Arm reckt und, weil der Luis sie seit fünf Minuten ununterbrochen geneckt und geärgert hat, plötzlich brüllt: »Luisss! Wenn… wenn du nicht sofort damit aufhörst, verbiete ich dir heute Abend das Fernsehen.« Oder sie nennt den Luis »eine Zicke«. Oder gar ein »Ego-Teil«. Oder ein »Ego-Tier«.Und jedes Mal, wenn sie sich wehgetan hat, sagt sie: »Aua.« Und dann sofort: »Na, macht nichts.« Und immer noch flucht sie wie ein Bierkutscher und schreit ihre eigene Mutter an: »Du bist so blöd und ssseiße!« Sodass wir jetzt in der Familie eine Fluchkasse eingerichtet haben, in die jeder Erwachsene einzahlen muss, wenn er geflucht hat – man muss die Kinder in mancher Hinsicht vor den eigenen Eltern bewahren.Einmal tritt sie den Bruder sogar vors Schienbein, worauf der sie packt und sagt (wiederum hörst du dich aus einem andern sprechen, nun aus dem Sohn): »Sophie, das macht man nicht! Was sagt man da?«Und Sophie sagt: »Willst du Ärger?«Woher hat sie das denn nun wieder? Und wie kommt es, dass sie zu mir, während ich unter der Dusche stehe und sie auf dem Töpfchen sitzt, plötzlich mit melancholisch umflortem Blick sagt: »Ja, ja, so ist das Leben, manchmal ein Glück und manchmal zum Weinen.«
Illustration: Dirk Schmidt