Manche Sachen werden mir allmählich zu kompliziert, sie überfordern mich, das Skifahren zum Beispiel. Früher, so stelle ich mir das vor, ist man einfach mit den Brettern über der Schulter zu einem Berg gegangen, ist diesen Berg hinaufgestiegen und ist ihn dann mit einem »Juhuuu!« auf den Lippen wieder hinuntergefahren. Das war anstrengend. Aber im Grunde nicht sooo schwierig.Heute beginnen die Probleme gleich nach dem Erwachen. Luis will erstens nicht aufstehen, zweitens nicht Ski fahren. Er muss überzeugt werden. Eine Debatte entbrennt, bei der Paola und ich »frische Luft!«, »Bewegung!«, »Sport!«, »andere Kinder!« und »Wozu sind wir dann überhaupt hergekommen?!« rufen, wohingegen Luis die für Eltern nicht ermesslichen Anstrengungen der vergangenen Schulwoche sowie eine unerklärliche momentane Körperschwäche ins Feld führt. Am Ende setzen Paola und ich uns durch, aber zu welchem Preis?Der Luis trödelt unwillig, wir aber müssen uns beeilen, denn Bruno, mein Freund, wartet mit seiner Familie unten am Lift. Auf der Fahrt dorthin bemerken wir, dass Paola ihren Skipass vergessen hat, also kehren wir noch einmal um. Ich halte meinen kleinen Standardvortrag über »Chaos und Vergesslichkeit in der Moderne, besonders bei anderen Menschen als mir«, habe aber meinerseits in meiner Eigenschaft als Familienzeugwart versäumt, am Abend zuvor Paolas Skistiefel ins Haus zu räumen, weshalb sie jetzt in eiskalte Schuhe steigen muss und dazu den Wennichnichtallesselbstmache-Rap singt.Bruno und die seinen warten schon eine Weile, sie sind straff organisiert und leicht verstimmt, weil es kalt ist und sie, wie gesagt, schon eine Weile warten mussten. Sie werden aber schweigsamer, als Brunos jüngstem Sohn der linke Handschuh aus dem Lift fällt, weshalb sein Vater noch einmal zurück an den Start muss, um diesen Handschuh zu holen. Wir anderen warten derweil oben am Lift. Abfahren können wir nicht, denn wir wollen zu einer anderen Piste und müssen dazu noch mit weiteren Lifts fahren.So geht das, jeden Morgen und den ganzen Tag.(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wo ist der Lift? Wo ist der Autoschlüssel? Und warum geht das Handy nicht?)
Am Nachmittag dieses Tages fahren wir dann eine sehr schöne Abfahrt, an deren Ende kein Lift wartet. Man muss einen halben Kilometer zu Fuß zum Auto gehen, eine Aufgabe, die Bruno und ich übernehmen, während unsere Frauen mit den Kindern schon einmal zu dem nahe gelegenen Bauernhof gehen, auf dem wir wohnen. Sie wollen dort schon einmal einen Tee trinken.Wir stapfen zu Brunos Auto. Es steht erheblich näher als meines. Er wird mich dann zu meinem Wagen bringen. Ich werde meine Stiefel ausziehen und endlich sitzen.Es ist ein kalter Tag. Jetzt hat es zu schneien begonnen. Wir sind viel Ski gefahren. Wir gehen schweigsam. Steigen in Brunos Wagen. Fahren zu meinem. Ich steige aus. Wir verabschieden uns, bis gleich, dann werden wir in unserer warmen Stube auch einen Tee trinken.Bruno fährt schon einmal los.Ich will den Autoschlüssel aus der Tasche meines Overalls nehmen. Aber er ist nicht da, nicht in dieser Tasche, nicht in jener, auch nicht in der dritten und vierten. Er ist gar nicht da, denn Paola hat ihn. Sie ist heute Morgen gefahren. Sie hat ihn eingesteckt.Dann werde ich eben jetzt schnell Bruno anrufen, denke ich, damit er zurückkommt und mich in seinem Wagen mitnimmt, damit ich den Autoschlüssel holen kann, um mein Auto holen zu können, um auch Tee trinken zu können. Ich ziehe mein Telefon aus der Innentasche, nein, aus der Außentasche, in die ich es, anders als sonst, gesteckt habe, weil es zu kompliziert ist, das Ding beim Skifahren dauernd aus der Innentasche zu kramen – dabei muss man ja immer den ganzen Overall öffnen.Ich will Brunos Nummer wählen, aber auf dem Display erscheinen keine Zahlen. Nur einen dünnen Film von Kondenswasser sehe ich unter dem Plexiglas.Einmal bin ich an diesem Tag im tiefen Schnee gestürzt. Dabei ist das Handy feucht geworden, schade irgendwie, denn nun stehe ich hier im dichter werdenden Schneetreiben, allein, mit einer einzigen Frage im Kopf, und diese Frage lautet: Woher werde ich die Kraft und die Begeisterung nehmen, meinen Sohn Luis auch morgen früh wieder von der Notwendigkeit eines Tages auf Skiern zu überzeugen?
Illustration: Dirk Schmidt