Als vor Kurzem der Hengst Totilas, ein Pferd, so schön, dass manche Reitsport-Freunde bei Nennung dieses Namens ihr Frühstücksheu vergessen und leise wiehern, als nun Totilas, »der lackschwarze Tänzer mit den weißen Ballettschuhen« (ARD-Experte Carsten Sostmeier), ein Dressurpferd, dessen »außerordentliche Schulterfreiheit … es ihm zum Beispiel ermöglicht, im starken Trab die Beine herauszufeuern wie eine Cancan-Tänzerin« (so vor Jahren die FAZ), als also eben dieser Totilas, der dem Reitsport bedeutete, »was etwa ein Nurejew fürs klassische Ballett war« (Kölnische Rundschau), als, wie gesagt, Totilas aus dem immer wieder von vielen sogenannten Dressurviereck verabschiedet wurde … da fiel mir ein Interview des Trainers Klaus-Martin Rath wieder ein, das vor etwa einem Jahr in der Welt erschien und mit der Überschrift versehen war: »Wir haben Totilas aus dem Frischspermaeinsatz genommen.«
Dieses Wort »Frischspermaeinsatz« ist mir seither unvergesslich geblieben. Es erinnert einerseits in seiner Unverblümtheit an den »Samenraub«, der anlässlich des Wimbledon-Turniers 1999 angeblich Boris Becker zustieß; unser lieber Freund begab sich damals in einer Londoner Besenkammer eher spontan, ungeplant und auch nur vorübergehend in die Zucht. Andererseits ist der Begriff »Einsatz« in Kombination mit »Frischsperma« überraschend: Das Bürokratische geht mit dem Triebhaft-Natürlichen eine nachgerade verstörende Verbindung ein und zeugt ein Wort …
Nun, was bedeutet »Frischspermaeinsatz« eigentlich? Ich las bei Rath weiter: »Wir haben aber auch die Möglichkeit, ihn in den Tiefgefrierspermaeinsatz zu geben. Das heißt, wir lassen ihn im Winter auf einer Phantomstute absamen, sodass er den Rest des Jahres nicht parallel zum Sport decken muss.«
Tiefgefrierspermaeinsatz! Absamen! Phantomstute! Wo sind wir? In welche Welt haben wir uns begeben? Es ist die Welt des Tiergeschäfts und der Pferdezucht, in der neben dem Natursprung, der dem einen oder anderen Leser aus privater Ausübung im Grundsätzlichen vertraut sein wird, der Deckakt auf der erwähnten Phantomstute steht, die man sich der Einfachheit halber wie das aus dem Turnunterricht bekannte Pferd vorstellt, nur eben mit den von kundiger Hand geformten notwendigen Körperteilen versehen.
Beim »Frischspermaeinsatz« wird Sperma gewonnen, das, wenn ich es recht sehe, innerhalb von drei Tagen seiner Verwendung zugeführt werden muss. Beim »Tiefgefrierspermaeinsatz« hat man erheblich mehr Zeit, Kenner der Verfallsdaten von Fischstäbchen wissen Bescheid. Nun ist aber der Deckakt bei Hengsten, auch das erfuhr ich aus dem Gespräch mit Klaus-Martin Rath, nicht einfach einem Standardbeischlaf lang verheirateter Partner miteinander vergleichbar, bei dem maximal fünfzig Kalorien verbraucht werden, was einmal Treppensteigen in den zweiten Stock entspricht (das ergaben jedenfalls dem Tagesspiegel zufolge »mehrere Studien« mit »Testpersonen«). Rath: »Wenn die Pferde auf das Phantom springen, dann stehen sie nur auf den Hinterbeinen. Das erfordert unglaublich Kraft und Energie. Die könnten sie natürlich besser für das Reiten gebrauchen.«
Totilas wurde also damals aus dem »Frischspermaeinsatz« genommen, um ihn für seine sportliche Tätigkeit zu schonen; allenfalls im »Tiefgefrierspermaeinsatz« werde man ihn, Rath zufolge, verwenden, denn der finde im Winter statt, wenn keine großen Dressurturniere sind.
Aber nun ist Totilas’ sportliche Karriere beendet. Das »Samenbestellformular« findet der Interessierte wie bisher unter www.schockemoehle.com, Zeit ist jetzt genug. Die Decktaxe beträgt zur Zeit noch 4000 Euro vorab und weitere 4000 bei Trächtigkeit. Die »Samenversandskosten« gehen zu Lasten des Züchters, deutschlandweit werktags dreißig, im Wochenendversand siebzig Euro. Einschlägige Kreditkarten, auch PayPal, werden akzeptiert, Sofortüberweisung natürlich ebenfalls.
Illustration: Dirk Schmidt