Koalitionsverhandlungen am Kindertisch

Wie die Regierungsbildung, die nun ansteht, enden wird, weiß Axel Hacke auch nicht. Aber wie sie beginnen sollte.

Bruno, mein alter Freund, erzählt, es habe Minestrone zum Abendessen gegeben, worauf eine seiner Töchter mit großer Verzweiflung reagierte – warum? Man hatte ihr schon in der Schule mittags Gemüse serviert, und zu viel gesundes Essen vertragen Kinder bekanntlich nicht; sie müssen dann weinen.

Man habe darauf, berichtet Bruno weiter, für die Tochter zwei Maultaschen in ihre Suppe geschnitten, dafür Gemüse entfernt, einige scheußliche Erbsen und unerträglichen Lauch vor allem. Karotten und Kartoffeln habe man dringelassen. Und weil das Kind sich weiter weigerte, mit den anderen am Tisch zu sitzen, in der Familie aber das Prinzip gelte, dass am Tisch gegessen werde, sei der Kinderspieltisch in der Küche freigeräumt worden. Dort habe die Tochter ihre Minestrone-Variation verzehrt.

Mich hat das an die politische Lage in Deutschland erinnert. Wir brauchen eine Regierung. Aber die Leute, die dafür in Frage kommen, können sich gerade nicht so wahnsinnig gut leiden; einige sind aufgrund ihrer Wahlergebnisse so verzweifelt, dass sie heulen könnten. Es muss aber regiert und die Suppe ausgelöffelt werden. Also wird man nach einer Lösung suchen, eine Extrawurst hineinschneiden für die CSU, die Grünen kriegen ein paar Erbsen mehr, für die FDP wird ein Extra-Tisch bereitgestellt. So ist die Welt, so ist das Land, so ist das Leben. Man sucht eine Lösung, und wenn man denkt, es gibt keine und den Kopf verzweifelt gegen die Wand schlagen will – dann findet man den Weg.

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Vielleicht.

Jedenfalls finde ich gut, dass es überhaupt funktionieren könnte. Manche sind jetzt neidisch auf die Franzosen, die haben Macron, der hat eine Vision. Da ist Leidenschaft, Begeisterung, Tatkraft. Man sollte darüber nicht vergessen, dass Madame Le Pen nicht weit vom Amt der Präsidentin entfernt war, dass in den USA ein unfähiger Ignorant sogar gewählt worden ist, dass die Briten sich mit einer von Lügnern und Opportunisten herbeigeführten katastrophalen Fehlentscheidung herumplagen. Dass man sich in den Niederlanden ernsthaft vor Herrn Wilders fürchten musste, und dass in Österreich, nun ja, Österreich …

Die AfD hat nicht mal 13 Prozent, so sehe ich die Sache. Schlimm genug. Aber warum sollten überall in der Welt die Leute mit den einfachen, aber falschen Geschichten Erfolg haben – und nur bei uns nicht einmal da sein?

Wir leben in ziemlich irren Zeiten. Die Techniken unserer Kommunikation, Produktion, unserer Energieerzeugung und des Verkehrs befinden sich in revolutionärer Veränderung, die Welt ist im Aufbruch, wohin auch immer.

Und wir? Können immer noch über alles reden. Die Leute suchen oft nach dem Emotionalen in der Politik, nach einer Geschichte, die sie verbinden könnte, nach etwas, was sie packt und mitnimmt. Und dann sagen sie, sie hätten solche Leidenschaft vermisst bei Angela Merkel, für die Politik darin besteht, dass ein Problem vor einem erscheint und man dieses Problem dann löst. Oder zu lösen versucht. Und dass in der Ruhe die Kraft liegt, hat sie auch gesagt, und da sei es eben wieder, sagen die Leute, dieses Trockene, Dürre, Kühle und das Fehlen jedes Funkelns und jedes Funkens.

Aber ich will Ihnen was sagen: Es gibt so Tage, da kann ich mich genau dafür begeistern. Da lodert in mir die Flamme der Nüchternheit und das Feuer der Ruhe. Da möchte ich die Flagge des Pragmatismus im Wind knattern sehen, und ich will mit heiserer Stimme auf den Marktplätzen, vor den Rathäusern und den Parlamenten das zähe, langwierige Miteinander-Reden preisen, ob in Küchen oder an Verhandlungstischen. Ja, so Tage gibt es. Und heute ist einer von ihnen.

Illustration: Dirk Schmidt