Ich gehe von meinem Viertel zum Viktualienmarkt. Da war früher an der Ecke, gegenüber den Marktständen, ein Geschäft für Pflanzen, Gartenbedarf, Sämereien, Haustiere. Jetzt ist hier ein Sexladen, pardon: »ein erotischer Lifestyle-Shop«. In den Schaufenstern sieht man, auf weißen Podesten, Dildos, Vibratoren und andere Gerätschaften zur Selbsterfreuung, in Gelb, Grün, Violett, Pink, Rosé und Regenbogen. Grell alles.
Paola, meine Frau, regt sich auf: Das liege in Augenhöhe von Vierjährigen! Warum so was erlaubt sei!? Wenn sich einer auf dem Viktualienmarkt entblöße, komme die Polizei, und hier lägen die Nachbildungen zur allgemeinen Ansicht herum, eine Zumutung.
Mir gefällt das auch nicht, mal abgesehen davon, dass mir der Samenladen lieber war: die Blumen vor der Tür, das passte zum Markt. Aber darum geht es nicht, eher schon darum, dass Eltern durch Geschäftsleute genötigt werden, zu erklären, was das für bunte Dinger im Fenster sind.
Er sehe da kein Problem, sagt Bruno, mein alter Freund. Man sage kurz und vage, worum es gehe; im selben Moment hätten die Kinder das vergessen. In ihrer Welt sei es nicht wichtig. Und man könne sich nicht ernsthaft über eine Sexbude am Markt erregen, wenn heute auf jedem Smartphone Porno jeder Art abrufbar sei, ob auf dem Viktualienmarkt, im Rathaus oder auf dem Weg zur Heilig-Geist-Kirche. Jederzeit und überall.
Das wäre nun die Frage, finde ich: Soll man sich mit einer Sache, die nicht in Ordnung ist und ein in der Menschheitsgeschichte einmaliger Vorgang, abfinden, weil es Dinge gibt, die noch weniger in Ordnung sind?
Im Guardian war ein Artikel über die Pornifizierung unseres Alltags zu lesen. »In der Welt des Pornos kann jeder Wunsch sofort erfüllt werden«, stand da. »Aber es ist gerade der Glaube, dass jeder Wunsch erfüllt werden kann und sollte, der radikal falsch ist.« Es geht hier keineswegs nur um Sex. Online-Shopping, kommerzielles Fernsehen, Fast Food, selbst die Art, in der Menschen ständig eine Wasserflasche mit sich herumschleppen: Das alles hat mehr mit Porno zu tun, als man denkt. Es geht um den Unwillen, sich bis zur Erfüllung eines Wunsches zu gedulden.
So gesehen ist übrigens Donald Trump ein Pornostar der Politik. Er hat im Wahlkampf die sofortige Lösung aller Probleme versprochen – wie er in seinen Fernsehshows auch alle Widrigkeiten beseitigte. Und die Tatsache, dass er daran im Weißen Haus so spektakulär scheitert, zeigt, wie viel Pornografie mit Realsex zu tun hat: wenig.
Ist das eine Neuigkeit? Neuerdings offenbar ja. Das Leben hält nun mal Hindernisse bereit, die es in der Instant-Welt nicht gibt. Die haben viel mit der Auseinandersetzung mit anderen Menschen zu tun, die sich nicht bloß fügen und mit denen man nicht treiben kann, was man will. Man muss die Auseinandersetzung suchen und den Ausgleich finden. Langwierige und, wenn es gut geht, beglückende Vorgänge. Einerseits. Aber uns bringt, andererseits, nun mal eben gerade die Tatsache in Schwierigkeiten, dass Menschen Porno und wirklichen Sex, Reality Show und Realität mittlerweile durcheinanderbringen.
Mit dem Laden am Markt hat das nicht mehr viel zu tun, das ist ja kein Pornogeschäft. Hässlich ist er trotzdem. Und mich stört er. Bin ich deswegen ein Spießer? Eher fände ich es spießig, sich nicht darüber aufzuregen, weil man Angst hat, als Spießer zu gelten. Was soll man machen? Ich nehme einen anderen Weg zu den Viktualien. Erst wenn der ganze Markt ein erotischer Lifestyle-Shop ist und es Gemüse nur noch an einer Straßenecke davor gibt, melde ich mich wieder.
Illustration: Dirk Schmidt