(Auf Deutsch erschienen bei S. Fischer im November 2020, 512 Seiten, 23 Euro)
Vor ein paar Jahren machte ich ein Auslandsjahr in Sheffield. Ein guter Freund von mir lebte währenddessen in London. Und weil London dann doch spannender war als Sheffield, besuchte ich ihn oft. Er wohnte in Stratford, in der Nähe des Queen Elizabeth Olympic Park, gleich neben einem riesigen Einkaufszentrum, dessen rote Leuchtreklame nachts sein Zimmer erhellte. Es fühlte sich nach Stadtrand an, aber eigentlich war der Stadtrand schon wieder weiter nach Osten verrutscht, und Nachbarviertel wie Hackney Wick wurden gerade cool: Hipster-Cafés, Galerien, Graffiti, noch ein bisschen Freiraum. Wir fanden es toll. Seitdem habe ich erst an einem Ort wieder von Hackney Wick gelesen, und zwar in Kate Davies‘ Roman Love Addict. Der handelt von der 26-jährigen Londonerin Julia, die Balletttänzerin war, bis sie sich den Knöchel brach, und sich nun in ihrem Bürojob langweilt und gelegentlich schlechten Sex mit Männern hat. Bis sie zum ersten Mal eine Frau küsst, zum ersten Mal mit einer Frau schläft, zum ersten Mal mit einer Frau zusammenkommt: Sam. Mit Sam, stellt Julias beste Freundin bald neidisch fest, ist Julia so richtig am Leben. Bis Sam Julia mehr und mehr kontrolliert. Davies schafft es, in ihrem Roman ganz viel zusammenzubringen: lesbische Liebesgeschichte, Gesellschaftskritik, Selbstironie, Missbrauchserzählung. Ein tolles Buch für einen Nachmittag im Café im Londoner Zentrum oder den Drink im Londoner Osten, eigentlich für überall. (Agnes Striegan)