SZ-Magazin: Herr Grünewald, die Frankfurter Allgemeine Zeitung nannte Sie mal den »Psychologen der Nation«, nun steht das auch auf Ihrer Webseite. Sehen Sie sich so?
Stephan Grünewald: Ich habe seit 2006 mit meinen Büchern auf der Basis von zehntausenden Interviews versucht, ein Psychogramm Deutschlands zu zeichnen. Von daher bin ich sicherlich der Psychologe, der sich in den letzten zwanzig Jahren am stärksten mit der Befindlichkeit der Nation auseinandergesetzt hat.
Und nun sagen Sie, Deutschland sei in einem »No-Future-Modus«. Inwiefern?
Der Blick in die Zukunft ist überschattet durch die multiplen Krisen, die wiederum mit dem Gefühl verbunden sind, nicht mehr bewältigbar zu sein. Es gibt keine Lösungszuversicht, die Krisen werden wie Zombies erlebt, als ewige Wiedergänger, und das führt dazu, dass die Menschen ihre Wirklichkeit aufspalten in eine äußere Welt, da herrscht eine Endzeitstimmung, und eine Eigenwelt, die überschaubar ist, in der man sich geborgen fühlt und Selbstwirksamkeit spürt. Zwischen diesem privaten Schneckenhaus, in das man sich mehr und mehr zurückzieht, und der Welt da draußen mit ihren Krisen spannen die Leute einen Verdrängungsvorhang. Das heißt, sie blenden vieles aus.
