»Der Sterbende muss das Gefühl haben, dass es dort, wo er hingeht, okay ist«

Was brauchen Menschen in ihren letzten Tagen? Welche Worte sind die richtigen? Und woran erkennt man, dass es jetzt wirklich zu Ende geht? Eine Sterbebegleiterin im Interview.

Wie kann man Menschen beim Sterben begleiten? Berührungen anbieten, aber nicht aufdrängen, empfiehlt Sterbebegleiterin Karin Sonnenstuhl.

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SZ-Magazin: Frau Sonnenstuhl, kann man sterbende Menschen trösten?
Karin Sonnenstuhl: Meiner Erfahrung nach: Nein. Wenn jemand, der bald sterben wird, mir gegenüber große Angst artikuliert, kann ich eigentlich nur etwas sagen wie: »Ich höre dich. Ich höre genau, wie besorgt du bist. Ich kann mir vorstellen, wie schwer das ist. Ich bleibe bei dir.« Wir können zuhören, wir können am Bett sitzen, den Menschen die Hände halten, wenn sie das möchten. Man sollte aber unbedingt bestimmte Floskeln vermeiden, die nach Trost klingen, aber in Wahrheit hohl sind.

Zum Beispiel?
Man sollte aufpassen mit »Das ist doch nicht so schlimm« oder »Das verstehe ich«. Denn man versteht es eben nicht. Ich glaube, dass Sterbende, ähnlich wie kleine Kinder, sehr genau hören und wissen, ob tröstende Worte ehrlich gemeint sind oder ob es Floskeln sind. Das gilt auch für Berührungen: Es ist ein Unterschied, ob ein Streicheln oder eine Umarmung aus einer Pflicht heraus passieren oder von Herzen kommen.

Worauf achten Sie, wenn Sie sterbende Menschen berühren?
Das ist bei Angehörigen natürlich anders, aber ich als ambulante Hospizbegleiterin achte darauf, dass meine Klienten immer die Möglichkeit haben, sich aus der Berührung zu lösen, gerade wenn sie sehr müde oder schwach sind. Das heißt, ich lege meine Hand unter oder neben die Hand des Klienten, statt sie richtig festzuhalten. Dann hat er oder sie die Möglichkeit, die Hand jederzeit mit einer kleinen Bewegung wegzuziehen.

Karin Sonnenstuhl ist Koordinatorin beim ambulanten Hospizdienst in Polling und arbeitet darüber hinaus als Palliativkrankenschwester im Klinikum Penzberg. Die Unterstützung durch ambulante Hospizdienste steht in Deutschland jedem Patienten zu und wird häufig vom Hausarzt vermittelt.

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Sie arbeiten im ambulanten Hospizdienst in Polling bei Weilheim in Oberbayern, das heißt, Sie begleiten Menschen beim Sterben zuhause, in den eigenen vier Wänden. Das klingt nach einem belastenden Beruf.
Ich höre das oft. Wenn ich jemanden kennenlerne und das Gespräch irgendwann auf meine Arbeit kommt, spüre ich manchmal fast Mitleid. Die Leute sagen: »Oje, wie hältst du das aus? Das könnte ich nicht!« Aber für mich ist das kein trauriger, schwerer Job, oder nur sehr selten. Die meisten Begleitungen sind nicht von Schwere durchdrungen, im Gegenteil, es wird viel gelacht. Neulich habe ich mit einer Klientin und mit Gästen einen Geburtstag gefeiert, es war ein richtig schönes Fest voller Leichtigkeit. Viele, die wissen, dass es bald zu Ende geht, wollen vor allem noch eine schöne, gute, entspannte Zeit verbringen. Und dabei helfen wir ihnen.

Wissen die meisten Menschen denn genau, wann es mit ihnen zu Ende geht?
Ganz zum Schluss ist die überwiegende Mehrheit nicht mehr ansprechbar. Aber fast alle wissen zu einem bestimmten Zeitpunkt, dass ein Prozess begonnen hat, der unumkehrbar ist. Die ersten physischen Anzeichen treten ja schon relativ früh vor dem Tod auf, die Durchblutung ändert sich, die Gliedmaßen werden erst kalt, dann werden sie dunkel. Der Appetit ändert sich.