Wie ich lernte, ohne Angst zu lieben

Sich fallenlassen, als wäre man noch nie verletzt worden: Wie schafft man das? Warum es für manche schwerer ist, Vertrauen in die Liebe zu haben als für andere – und wie man es zurückerlangt.

Sind in einer Beziehung nicht nur zwei Menschen, sondern auch die Angst, wirkt sich das sehr auf den Alltag aus. Doch es gibt Erkenntnisse, die gegen die Angst helfen – und zu mehr Geborgenheit und Sicherheit führen.

Foto: Antoine Rouleau / Getty Images

Wie schön der Anfang von Liebesgeschichten doch ist. Wenn für Wochen oder Monate alles leuchtet, weil man diesen einen Menschen kennengelernt hat. Wenn im Körper nur Wärme und Zuversicht sind. Wenn man nächtelang redet und küsst und isst und lacht und am nächsten Tag auf der Arbeit zwischen zwei Browserfenstern hin und her klickt und nichts Sinnvolles mehr hinbekommt, aber alles egal ist, weil man in wenigen Stunden wieder diesen einen Menschen sieht. Es ist ein Rausch.

Wie schlimm das Ende von Liebesgeschichten ist. Wenn für Wochen oder Monate alles grau ist, weil man diesen einen Menschen verloren hat. Wenn im Körper nur Schmerz und Trauer sind. Wenn man irgendwo in der Wohnung liegt und denkt, dass nichts mehr gut werden kann, weil dieser eine Mensch weg ist. Weil man seinen Duft nie wieder riechen wird, man nie wieder von ihm geliebt werden wird.

In den allermeisten Liebesgeschichten erlebt man neben dem Anfang auch das Ende. Wie sollte man mit diesem Wissen am besten umgehen? Diese Frage ist in meinem Leben sehr wichtig. Denn seit ich mich verliebe, sehe ich anderen mit Staunen dabei zu, wie sie sich in diesem Gefühl fallenlassen können. Sie lieben so, als wären sie nie verletzt worden, schreiten mit großen Schritten in ihren Beziehungen voran, voller Mut und Optimismus.

Ich wollte immer so sein wie sie. Stattdessen dachte ich viele Jahre lang am Anfang von Beziehungen schon das Ende mit. Obwohl ich es liebe, mich zu verlieben, hatte ich dabei immer auch eine Ahnung im Hinterkopf, dass das, was ich da gerade mache, irgendwann sehr weh tun könnte. Solange ich neben dem anderen Menschen saß oder lag, war alles gut. Aber sobald ich allein war, dachte ich immer wieder an all die Male, bei denen ich mir nicht hätte vorstellen könnte, dass die Liebe endet, und sie doch verschwand.

Ich war in meinem Club der Liebespessimisten nicht allein, bei Weitem nicht. »Jede Liebesgeschichte ist eine potenzielle Leidensgeschichte «, schreibt der Schriftsteller Julian Barnes. Der Sänger Zartmann singt in dem Lied »Tau mich auf« davon, wie gern er sich fallenlassen können würde. Und dann gibt es noch all die Lieder und Bücher und Gedichte über Liebeskummer, bei denen ich ahne, dass sie von Menschen geschrieben worden sind, die eine ähnliche Angst vor dem Ende der Liebe haben. In einem meiner Lieblingsgedichte, »Eine Art Verlust«, schreibt Ingeborg Bachmann davon, wie man nach einer Trennung nicht nur den anderen Menschen verliert, sondern auch so viele andere Dinge: das gemeinsam einstudierte Vokabular, gemeinsame Versprechen, Musik und Rituale. »Nicht dich habe ich verloren, sondern die Welt«, schreibt sie als letzte Zeile.

Vielleicht umschreibt das Gedicht am besten, was ich am meisten fürchtete: dass ich mit dem Verlieben die Kontrolle über mein Leben aufgebe. Ich habe es für einen zweiten Menschen eingerichtet und weiß nicht, ob und wann dieser Mensch wieder auszieht. Niemand hat in der Hand, wie sich Liebe verändert, das Leben verläuft nicht linear.