»In der Literatur geht es um Sex, Geld und Macht«

Die Schriftstellerin Anne Bernays ist die Großnichte von ­Sigmund Freud, ihr Vater gilt als ­Erfinder der modernen PR. Im Interview spricht sie über ihre ­ungewöhnliche Familie, das Schreiben, zurückliegende Demütigungen und das Gefühl, stets an zweiter Stelle zu stehen.

Anne Bernays in ihrer Wohnung in Cambridge, Massachusetts.

Foto: Tony Luong

Anne Bernays, 89 Jahre alt und von einer allumfassenden Wärme, empfängt am Morgen um zehn in einem Wohnturm am Charles River in Cambridge, Massachusetts, der Stadt, in der sie seit 60 Jahren lebt, schreibt und lehrt – heute an der Harvard University. Am anderen Ufer ist Boston zu sehen. Sie wirkt ein wenig verschlafen. Auf Beistelltischen stehen die Reste von vorgestern, Gläser, Snacks. Bernays lädt sonntags zum Salon. Sie ist noch nicht zumAuf­räumen gekommen. An der Wand hängt ein Gemälde von Joan Miró, das ihr verstorbener Mann Justin Kaplan, Pulitzer-Preisträger und Biograf von Mark Twain und Walt Whitman, ihr mal zum Hochzeitstag geschenkt hat, im Regal steht eine Skulptur von Henry Moore. Doch bevor man all das in Augenschein nehmen kann, muss man an ihrem Großonkel vorbei, dem Psychoanalytiker Sigmund Freud. Sein Porträt hängt neben dem Eingang zum Wohnzimmer. Man könnte sagen, er schaut mit strengem Blick auf seine Großnichte herab, so klein, wie Bernays ist, aber das wäre wahrscheinlich zu freudsch. Neben seinem Foto ist eine Karte gerahmt, die er am 12. Oktober 1930, drei Wochen nach Anne Bernays Geburt, aus der Wiener Berggasse 19 schickte, darauf die Worte: »Welcome as a new output of life on the day great grandmother was buried. Great-uncle Sigm.« Am Tag von Anne Bernays’ Geburt wurde Sigmund Freuds Mutter beerdigt.