SZ-Magazin: Sie haben die vergangenen fünfzehn Jahre damit verbracht, immer wieder über denselben Mann zu schreiben: Thomas Cromwell. Reden Sie mit ihm?
Hilary Mantel: Er spricht zu mir, ich höre zu. Ich glaube, der Trick beim Schreiben ist, dass man einen Raum schafft, in dem man wartet, bis die Romanfiguren anfangen zu sprechen.
Wo oder wie haben Sie diesen Mann, der vor 500 Jahren gelebt hat, für sich entdeckt?
Im Geschichtsunterricht. Ich dachte gleich, dass er ein faszinierender Mensch gewesen sein müsse. Seit den Sechzigerjahren ist einiges über ihn erschienen, aber leider haben seine Biografen schlecht gearbeitet, erst voriges Jahr erschien eine gute Biografie. Akademiker wussten, wie zentral er für das englische Königreich gewesen war, und haben viel über sein politisches Wirken geschrieben, aber als Persönlichkeit blieb er blass. Im öffentlichen Bewusstsein existierte er als Zerrbild eines Comic-Bösewichts. Dieses Klischee wurde immer weiter überliefert. Ich wollte es prüfen – nicht unbedingt, um es zu ändern.