SZ-Magazin: Frau Gainsbourg, Sie sind 1971 geboren – was verbinden Sie mit den Siebzigern?
Charlotte Gainsbourg: Dass wir alle zusammen mit meinem Vater in Paris in der Rue de Verneuil lebten. Zu viert haben wir uns ein Zimmer geteilt: meine Bullterrier-Hündin Nana, meine ältere Schwester Kate, unser Kindermädchen und ich. Mein Vater war, was die Einrichtung betraf, sehr obsessiv: Jeder Gegenstand hatte seinen festen Platz, niemand durfte etwas berühren. Wir bewegten uns nie im Haus, wir wohnten in unserem Kinderzimmer.
Wie war dieses Zimmer? Groß?
Nein, es war sogar sehr klein und hatte schwarze Wände. Alle Wände in unserem Haus waren schwarz. Die wichtigste Lektion, die Sie von Ihrer Mutter gelernt haben?
Die Liebe zur Kindheit.
Woran erinnern Sie sich am liebsten?
Ich wollte nie erwachsen werden. Kind sein bedeutete für mich frei sein, frei in meinen Gedanken. Ich habe nichts verurteilt, auch nicht mich selbst.
Welche Erinnerung haben Sie an Ihren Vater?
Mein Vater ist in armen Verhältnissen aufgewachsen und hat erst mit fünfzig Geld gemacht. Er war nicht bescheiden, aber er betrachtete auch nichts als selbstverständlich. Luxus überraschte ihn, machte ihm Freude. An Wochenenden gingen wir immer in die schönsten, luxuriösesten Hotels in Paris. Ins »Raphael« oder ins »Ritz«.
Um was zu tun?
Seiner Wohnung zu entkommen?
Was hat Sie während der Achtzigerjahre, in Ihrer Teenagerzeit, am meisten beeinflusst?
Ich werde jeden Tag aufs Neue beeinflusst. Ich wüsste gar nicht, welche speziellen Dinge ich aus den vergangenen 38 Jahren hervorheben sollte. Ich ändere jeden Tag meine Meinung. Ich habe keine Prinzipien.
Ist das Offenheit oder Schwäche?
Ich bin nicht stark. Ich vertraue mir nicht. Kein bisschen. Ich zweifle an meiner Meinung. Ich bin gefügig und formbar. Man kann mich leicht manipulieren. Ich nehme leicht die Meinung anderer an. Klingt schrecklich, nicht?
Wer bestimmt über Sie?
Die Reihenfolge ist so: Erst folge ich meinem Instinkt, dann verliere ich mich, dann folge ich dem Ratschlag anderer, und dann bereue ich es.
Wer hat Ihnen gesagt, welche Musik Sie hören oder welche Bücher Sie lesen sollen?
Es war ein Mann.
Ein Mann, aber wir sprechen doch von Ihrer Jugend, wie alt waren Sie?
Ich war 14. Das erste Buch, das er mir gab, war Carson McCullers’ Das Herz ist ein einsamer Jäger. Und dann Der Fänger im Roggen von Salinger. Ich habe diese Bücher geliebt.
Die erste Schallplatte?
Die gab mir mein Vater: Sex & Drugs & Rock & Roll von Ian Dury.
Wer hat Sie modisch inspiriert?
Jacqueline Bouchard. Sie war die Kostümdesignerin von Das freche Mädchen und Die kleine Diebin, Filme, in denen ich mitgespielt habe. Jacqueline wurde eine gute Freundin und stellte mir lange meine Garderobe zusammen. Sie hat mir den Vierzigerjahre-Look gezeigt, und das wurde dann mein Look.
Wo haben Sie früher Ihre Kleider gekauft?
Auf Flohmärkten. Später dann, als ich 16, 17 war, habe ich mich an Bambou orientiert, der Frau meines Vaters. Sie kleidete sich wie ein kleines Mädchen: T-Shirt und kurze Faltenröcke. Ich zog mich an wie sie. Ich habe auch meine Mutter kopiert und ihre Jeans getragen. Und ich trug die gleichen Tennisschuhe wie mein Onkel, das Modell »Stan Smith« von Adidas. Ja – so klaute ich mir meinen Look zusammen.
Charlotte Gainsbourg, 38, Schauspielerin und Sängerin, hat gerade zusammen mit dem Musiker Beck das Album »Irm« veröffentlicht.
Fotos: Corbis; Jan Welters / Openspace Paris