OHHHHH....per!

Auf den Bühnen dieser Welt passieren die köstlichsten Missgeschicke. Einige davon sind längst Legende. Und in der diesjährigen Festspielzeit werden sich wieder ein paar hinzugesellen. Der aktuelle Bayreuther "Parsifal" von Regisseur Stefan Herheim könnte mit seinen vielen Szenenwechseln und Effekten einen ganzen Fundus an Opernpannen anhäufen. In der Premiere am vergangenen Freitag wurde schon einmal geprobt. Hier lesen Sie von dieser und noch einigen weiteren Opernpannen.

Klingsor mit dem Speer im aktuellen Bayreuther "Parsifal"

Der Speer als Rohrkrepierer
Es ist ein Elend mit dem Speer. Richard Wagner schreibt am Ende des zweiten Aktes seines "Parsifal" vor: "Er, Klingsor, schleudert auf Parsifal den Speer, welcher über dessen Haupte schweben bleibt." Parsifal ergreift ihn, schlägt ein Kreuzzeichen und Klingsors Welt bricht zusammen. So weit die Theorie, denn die Szenenanweisung ist leicht hingeschrieben, aber schwer ausgeführt. Zahllose Speere der Operngeschichte landeten im Aus, zwangen Parsifal zu einem beherzten Sprung, trafen unschuldige Statisten oder schwebten schließlich außer Greifweite. Im neuen Bayreuther "Parsifal" bedient man sich des ältesten Speer-Tricks. Das Geschoss - hier von einem kleinen Jungen geworfen - wird während eines Lichtblitzes nach hinten weggezogen, Parsifal fasst auf seiner Seite einen neuen.

Schnell muss es gehen, dann taugt die Täuschung. Leider geht es selten schnell genug. Vor allem dann nicht, wenn der Zweitspeer - wie jetzt in Bayreuth - mühsam aus dem Souffleurkasten gepopelt werden muss und sich dabei auch noch verhakt.

Meistgelesen diese Woche:

Die federleicht Entschlafene
Giacomo Puccini und Giuseppe Verdi haben die etwas aus der Mode gekommene Schwindsucht mit herrlichen Opern verewigt. Besonders ergreifend stirbt Puccinis Mimi am Ende von "La Boheme". Einst beschloss die Regie an der Oper in Rom das Quartett der Pariser Künstler, zu denen auch Mimis Verehrer Rodolfo gehört, vor ihrem Tod eine Kissenschlacht veranstalten zu lassen.

Dabei platzte ein Federkissen und verteilte seinen Inhalt gleichmäßig auf der Bühne und somit auch auf dem Bett, wo Mimi ihr Leben aushauchen sollte. Eben während dieses Aushauchens stiegen dann heiter tänzelnde Flöckchen in die Höhe und legten sich auf Mimis Nase. Bei jeder heftigeren Bewegung setzte es einen Federschauer. Die rechte Ergriffenheit mochte sich da einfach nicht einstellen.

Lucia mit blutbeflecktem Kleid

Die fliegende Lucia
Erst verfällt sie dem Wahnsinn, dann stirbt sie. So gehört es sich für eine Opernfigur. Genretypisch erleidet die Lucia dieses Schicksal in Gaetano Donizettis "Lucia di Lammermoor". Maßloser Schmerz quält deshalb ihren Geliebten Edgardo. An der Wiener Staatsoper warf sich der Tenor Francisco Araiza deshalb mit Nachdruck auf die Bahre seiner verschiedenen Lucia.

Leider hatte der klein gewachsene Araiza die Distanz nicht richtig eingeschätzt. Er erreichte nur den Fuß der Bahre, die "Leiche" Lucias wurde in die Luft katapultiert und die sehr unsanft ins Leben zurückgeholte Heldin geistesgegenwärtig vom Darsteller des Raimondo aufgefangen.

Der Komponist von "The Rake's Progress" Igor Strawinsky

Die eiserne Leiter
Zeitgenössische Regisseure haben eine Schwäche für Leitern. Auf Leitern wird gestiegen, sie werden geworfen, zu Kulissen gestapelt und als Brücken über imaginäre Schluchten gelegt. Meist kommt dabei die klassische silberne Alu-Leiter aus dem Baumarkt zum Einsatz.

Im Münchner Prinzregententheater stellten Regisseur Martin Duncan und sein Ausstatter Ultz die Bühne für Igor Strawinskys "The Rake's Progress" mit riesigen Leitern voll. Sämtliche Leitern lehnten etwa nach der Hälfte nach einem Statistengewusel an den Wänden - sämtliche bis auf eine. Die höchste stand zu steil, begann sich fast in Zeitlupe Richtung Boden zu neigen.

Leider stand in der Einfallsschneise der Tenor Ian Bostridge und sang himmlisch ahnungslos von seinem drohenden Schicksal. Weil man in vielen Inszenierungen nicht recht weiß, was sich gehört und was nicht, reagierte niemand aus dem Zuschauerraum. Die Leiter fiel, Bostridge stand - und machte genau im entscheidenden Moment, in dem Sekundenbruchteil, der ihn von einem Schädelbruch trennte, den Schritt zur Seite.

Die Leiter donnerte Zentimeter hinter seinem Rücken auf den Boden, die Zuhörer hielten sich die Augen zu. Bostridge aber blickte sich nur leicht irritiert um und sang weiter. The show must go on!

Von der Engelsburg in Rom stürzt sich Puccinis Tosca

Das selbstmörderische Erschießungskommando
Eine Oper, die geradezu für Pannen geschrieben zu sein scheint, ist Giacomo Puccinis "Tosca". Kaum ein Werk hat so viele Pannen provoziert. Dieser Thriller endet mit der Erschießung des Helden Cavaradossi und dem selbstmörderischen Sturz seiner Geliebten Tosca von der römischen Engelsburg. So weit der Plan.

Doch Folgendes wird vom War Memorial Opera House in San Francisco erzählt, dort wurde der Schluss etwas modifiziert: Kurzfristig waren neue Statisten engagiert worden. Es wurde ihnen aufgetragen, den Delinquenten auf Befehl des Offiziers zu erschießen und dann so wie die übrigen Mitwirkenden die Bühne zu verlassen. Als es so weit war, gab der Offizier das Zeichen, die Guten schossen - auf Tosca.

Der verdutzte Cavaradossi krümmte sich dennoch vor Todesqualen, was das Erschießungskommando durcheinander brachte. Tosca mühte sich, die bedauernswerte Statisterie von der Bühne zu scheuchen, doch erst als sie sich selbst pflichtschuldig von der Engelsburg stürzte, verließen die Neulinge die Bühne - auf dem gleichen Weg wie Tosca.

Feurio!!!
Noch einmal "Tosca". Um ihren Geliebten zu entlasten, trifft sich Tosca mit dem römischen Polizeichef Scarpia, einer ganz miesen Type. Gern wird diese Szene in ein Meer von Kerzen getaucht. In Wien hatte die russische Sängerin Galina Wischnewskaja in der Szene eine sichtlich nicht feuerfeste Perücke getragen.

Am Ende des zweiten Aktes lag Kostas Paskalis als Scarpia bereits tot am Boden. Als Tosca nach dem Mord stolz ihre Locken nach hinten warf, gerieten die Haare an den Kerzenständer und fingen im Nu Feuer. Der untote Scarpia sprang auf und riss ihr die Perücke vom Kopf. Sogleich sprang aus der rechten Seitengasse Placido Domingo als Cavaradossi mit einem Feuerlöscher. Erst dann fiel der Vorhang.

Glück im Unglück für den Sänger des Scarpia: Er war ja schon "tot" und musste mit seinen Verbrennungen nicht weitersingen. Galina Wischnewskaja brachte die Partie jedoch trotz ihrer Verletzungen am Kopf standhaft zu Ende. Vissi d'arte!

Der Dirigent Otto Klemperer

Klatsche für den Dirigenten
Aus einem Zeitungsbericht des Jahres 1907:
"In der Oper zu Genua ereignete sich ein sensationeller Zwischenfall. In der Pause zwischen dem ersten und dem zweiten Akt von "Mignon" stieg die Primadonna Sanfelice plötzlich in den Orchesterraum hinunter und ohrfeigte den Dirigenten. Mit Mühe nur konnte die Rasende von ihrem Opfer getrennt werden. Die Ursache zu dem Racheakt vor breitester Öffentlichkeit soll intimer Natur sein."

1912 ereignete sich eine ähnliche Szene an der Hamburgischen Staatsoper. Der damals noch recht junge Kapellmeister Otto Klemperer hatte eine Affäre mit der Sopranistin Elisabeth Schumann. Diese war allerdings mit dem Architekten Walter Puritz verheiratet. Das finale Duell der Konkurrenten ereignete sich während einer "Lohengrin"-Aufführung unter Klemperers Leitung, in der sich Puritz genau den Stuhl hinter dem Dirigenten geben hatte lassen.

Kurz vor Beginn des Vorspiels zum dritten Akt stand Puritz auf und rief: "Klemperer, drehen Sie sich um!" Klemperer gehorchte. Puritz schlug ihm mit seiner Reitpeitsche ins Gesicht und verließ dann schnell die Vorstellung. Klemperer sagte daraufhin scheinbar ungerührt ins Publikum: "Herr Puritz hat mich angegriffen, weil ich seine Frau liebe. Guten Abend!" Und begann zu dirigieren. Die Affäre vertrieb Klemperer schließlich aus Hamburg.

Viechereien
Nimmt man die Tiere zusammen, die von Komponisten und Textdichtern über die Bühnen gescheucht werden, könnte man einen Zoo füllen. Bis in die 1960er-Jahre wurden echte Tiere dressiert, danach wurden sie vom Regietheater als Marotte abgeschafft. Heute, man staune, werden sie vom selben wieder eingeführt. Christoph Schlingensief ließ zur szenischen Uraufführung von Walter Braunfels' "Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna" vor wenigen Wochen in Berlin eine Kuh über die Bühne trampeln.

In Engelbert Humperdincks "Königskindern" hütet die Magd zwölf Gänse. Weil sich an der Kölner Oper einmal während der Vorstellung ein Ganter lüstern über eine Gans hermachte, bekamen die Tiere in der nächsten Aufführung ein Beruhigungsmittel. Nur stimmte wohl die Dosis nicht: Das Federvieh steckte den ganzen ersten Akt lang die Schnäbel unter die Flügel und schlummerte selig, anstatt, wie vorgeschrieben, seiner Herrin in die Stadt zu folgen.

In Wien wagte man es vor vielen Jahren, den Wagen des Quacksalbers Dulcamara in Donizettis "Liebestrank" von einem echten Esel ziehen zu lassen. Dulcamara vertäute den Wagen samt Esel an einer Kulissenwand und hob an zu singen. Der Esel, offensichtlich in der Annahme, nun nicht mehr gebraucht zu werden, entschloss sich zu gehen. Die Kulisse tat es ihm gleich.

In einer Wiener "Cavalleria Rusticana" sang Giorgio Zancanaro als Alfio seine Arie auf dem Rücken eines Pferdes, das plötzlich von einem heftigen Schluckauf erschüttert wurde. Trotz der Auf und Abs brachte der Sänger seine Arie tapfer zu Ende.

Die schwedische Sopranistin Birgit Nilsson

Die drei Tenöre
Die Sopranistin Birgit Nilsson gehört zu den großen Sängerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Selbst die horrende Partie der Isolde sang sie ohne Ermüdungserscheinungen. An der Metropolitan Opera brachte sie in einer Vorstellung aber einmal drei Tenöre durch. Der Zufall wollte es, dass die drei Sänger, die für den Tristan zur Verfügung gestanden hätten, alle von einer leichten Indisposition betroffen waren. Doch die Vorstellung sollte nicht gestrichen werden, die Aufführung galt als "The best Show on Broadway".

Also überredete der Intendant der Oper, der legendäre Rudolf Bing, die drei Herren, sich zumindest einen Akt zuzumuten. In ihren Memoiren erinnert sich Nilsson an Bings Worte: "Vinay singt den ersten Akt, Liebl den zweiten und den Fülligsten habe ich für den Schluss aufgehoben, damit Frau Nilsson etwas Weiches hat, auf das sie nach dem Liebestod niedersinken kann: Da Costa singt den dritten Akt." Letzteres war vorauszusehen, denn da Costa beherrschte nur den dritten Akt.

Requisiteneigensinn - Hänsel und Gretel
Ein dramatischer Moment in Engelbert Humperdincks "Hänsel und Gretel" ist das Zerbrechen des Topfes im 1. Akt. Damit ist das ganze Abendessen der Hartz-IV-Familie beim Teufel, das Unglück nimmt seinen Lauf. Die Krux liegt darin, den Topf auch wirklich zum Zerbrechen zu bringen.

In Regensburg wurde ein Topf mit Sollbruchstelle gebastelt, der für jede Vorstellung neu geklebt wurde. Einmal war die Requisite etwas zu gründlich. Die Darstellerin der Mutter schlug also "aus Versehen" nach dem Topf, der flog durch die Luft, krachte auf den Boden und - zerbrach nicht. Sogar die Milch blieb darin. Die Sängerin hielt es wohl für einen Beweis ihrer Geistesgegenwart, dass sie das Tongefäss nun nachträglich mit dem Besen zerschlug.

Ein weiteres Mal bäumt sich die Musik wild auf, wenn die Hexe von Gretel in den Ofen gestoßen wird. Es ist der Moment, in dem die beiden Kinder und noch viele andere Opfer gerettet werden. In der Kölner Oper warf Gretel die Hexe in den Ofen, woraufhin sich derselbige unerlaubterweise in Bewegung setzte; die Bühnenarbeiter hatten ihn nicht richtig fixiert.

Die Hexe lag bald auf einer bequemen Matratze im Freien. Der Ofen wuchtete aber auf seinem Weg den armen Hänsel um und wurde erst von Gretel unter erheblichem Kraftaufwand gestoppt. Für den größten Lacher sorgte nun die Hexe, die von ihrem Lager kroch und auf Knien in den Plastiktannenwald robbte.

Mein lieber Schwan
Der Klassiker zum Schluss. Der Tenor Leo Slezak war bekannt für seine großartige Stimme, ebenso wie für seine Schlagfertigkeit. In der Zeit vor dem Krieg, als in Wagners "Lohengrin" noch Schwäne den Schwanenritter beförderten, sang Slezak oft die Titelrolle.

In einer Vorstellung gelang es Slezak nicht, den bereitgestellten Schwan rechtzeitig zu besteigen. Die Bühnenarbeiter begannen das Wassertaxi passend zur Musik ins Off zu ziehen. Slezak blieb zurück. Nach einer Schrecksekunde trat er an die Rampe und dröhnte mit seiner vollen Tenorstimme in den Saal: "Wann geht der nächste Schwan?"

(Fotos: dpa, ap, ddp, United States Library of Congress)