In der Mausefalle

Endlich! Die Tochter darf nach Disneyland. Aber für ihren gestressten Vater darf es gern bei dem einen Mal im Leben bleiben.

Die ersten sechs Jahre ihres Lebens ließ meine Tochter Anna eine Vorliebe für sinnfreien Glitzer erkennen: Erst sammelte sie rosafarbene Prinzessin-Lillifee-Hefte, dann Fillys. Das sind kleine Plüschpferde mit Glotzaugen, Horn und Krone am Kopf. Größter und einziger Traum dieser Kunstwesen: ein Filly Fairy Traumschloss für 47,55 Euro. Selbst als toleranter Vater sagt man in diesem Fall: Nein! Aber wozu sagt man Ja? Wenn ich Anna mit dem Zeug spielen sah, dachte ich oft an meine Kindheit zurück. Die Disney-Figuren, die mich begleitet hatten, waren dagegen geradezu vielschichtig und vermittelten sogar Werte: Bambi erweckte Mitleid, Goofy war ein hilfsbereiter Tölpel, Dagobert Duck ein Geizkragen. Als nun Annas Einschulung anstand, dachte ich: Das wäre doch der ideale Zeitpunkt für einen pädagogisch wertvollen Ausflug ins Disneyland Paris.

Es ist das letzte Wochenende der Sommerferien, Sonne, 26 Grad, der Park rappelvoll. Wir legen uns gleich am Eingang zwei Gas-Luftballons zu, mit den Gesichtern von Micky und Minnie Maus. Die kosten zwar 15 Euro, aber – noch so eine pädagogische Überlegung – so hat Anna die ganze Zeit etwas in der Hand und vergisst, nach irgendeinem anderen der 16 000 Artikel zu quengeln, die es hier noch zu kaufen gibt. Immerhin die Rechnung geht auf. Ansonsten lässt Anna der Disney-Zauber kalt. Ihre Interessen haben sich ausgerechnet kurz vor unserer kleinen Reise dramatisch geändert: Sie will nicht mehr Prinzessin werden, sondern Fußballtorwart. Als uns auf der Hauptstraße des Parks Kinder in Feenkleidern und Peter-Pan-Kostümen begegnen, rümpft Anna die Nase. Das rosa-blaue Dornröschenschloss passieren wir im Laufschritt und kommen am Labyrinth von »Alice im Wunderland« an, wo sich schon die Kinderwagen stauen. Anna sagt, dass sie jetzt endlich was erleben will.

Also Achterbahn. Am Eingang der »Space Mountain: Mission 2« erwartet uns eine Messlatte: Zutritt erst für Kinder ab einer Größe von 1, 32 Meter. Anna drückt den Rücken durch wie ein Marinesoldat und darf passieren. In unserem Raumfahrzeug werden wir durch eine Röhre nach oben geschossen, dann durch mehrere Loopings, Kurven und Spiralen geschleudert. Hin und wieder zucken Laserblitze, ansonsten ist es finster wie im Weltraum. Draußen jubelt Anna: »Noch mal!« Mir ist übel, ich schlage eine Erholungsfahrt mit dem Schaufelraddampfer vor. Das findet Anna lahm. Wir einigen uns auf »Big Thunder Mountain«, eine Achterbahn, die auf einem Berg herumrast, mit Tageslicht, ohne Looping. Zu meiner Erleichterung stehen auch noch ziemlich viele Leute an.

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Meine sentimentalen Kindheitserinnerungen spielen zu diesem Zeitpunkt keine Rolle mehr, Anna kennt nur noch ein Ziel: möglichst krasse Achterbahnen. Deshalb verlassen wir das Disneyland und gehen in den gegenüberliegenden Walt Disney Studios Park. Dieser halb so große Freizeitpark hat mit Micky und Märchen wenig am Hut, hier gilt es, die »zauberhafte Welt von Kino und Fernsehen« zu entdecken, wie es im Prospekt heißt. Wobei Kino und Fernsehen Disney-Kino und Disney-Fernsehen heißt. Man kann mit der Zeichentrickfigur Stitch plaudern. Oder sich im Raumschiff der »Armageddon«-Show von Kometen beschießen lassen. Ehrlich begeistert ist Anna aber nur vom »Rock-’n’-Roller Coaster starring Aerosmith«, wo wir wieder in Schräglage und kopfüber durch die Dunkelheit rasen, dazu: Musik von Aerosmith.

Ein letztes Mal versuche ich, die Sache in friedlichere Bahnen zu lenken, und lotse Anna zur Eisenbahn, die rund um das Disneyland fährt. »Voraussichtliche Wartezeit: 60 Minuten« steht am Eingang. Irgendwo habe ich gelesen, dass in den Disney-Parks die Wartezeiten gern etwas höher angegeben werden, damit die Besucher am Ende erleichtert sagen: hat ja gar nicht so lang gedauert. Leider kommen wir 20 Minuten nicht vom Fleck und verlassen die Schlange, weil wir die fröhliche Dixieland-Musik am Bahnhof nicht mehr aushalten. »Wir könnten doch Achterbahn fahren«, schlägt Anna vor.

Als wir den Park verlassen, kommen wir auf neun Achterbahnfahrten. Ich fühle mich wie nach einem Vollrausch. »Geht’s, Papa?«, fragt mich Anna während der Zugfahrt nach Paris mehrmals und streichelt mir mitleidig den Rücken. So fürsorglich kannte ich sie bisher gar nicht. War also doch irgendwie pädagogisch wertvoll, unser kleiner Ausflug ins Disneyland.

ANREISE
Billig und schnell mit dem TGV. Frühbucher zahlen mit Bahncard 25 ab München 70 Euro, Kinder bis 14 frei.

FÜR VIELFAHRER
gibt es im Disneyland den VIP Fastpass, der langes Warten vor vielen Attraktionen erspart. Leider teuer: 80 Euro pro Person.

Fotos: Christoph Sillem