Ist doch eines jeden Fotografen Traum von Glückseligkeit, oder? Da fährst du gut gelaunt durch die Landschaft nach irgendwo, siehst eine sehr grüne Wiese, darüber blauesten Himmel, vielleicht ein Wölklein oder zwei. Später weißt du das nicht mehr so genau, und Gott sei Dank ist es egal. Du holst deine Kamera raus, drückst auf den Auslöser, drehst den Film weiter, drückst den Auslöser, drei- oder viermal. Grüne Wiese, blauer Himmel, weiße Wölklein, zack, zack. Und ohne dass du es weißt oder nur ahnst, hast du das berühmteste Bild der Welt gemacht.
Die Wiese-Himmel-Wolken-Idylle ist Bliss, Glückseligkeit, der Desktop-Hintergrund von Microsofts Betriebsprogramm Windows XP, erstmals veröffentlicht 2001. Mehr als eine Milliarde Menschen, so schätzt man, hat das Bild des ehemaligen National Geographic-Fotografen Charles »Chuck« O’Rear gesehen. Es war der Hintergrund auf Computerbildschirmen im Weißen Haus. Im Kreml. In Bergdörfern in China und in Vietnam. »Mein Bild ist berühmter als die Mona Lisa«, hat Chuck O’Rear einmal gesagt. Der Satz ist möglicherweise so wahr wie John Lennons berühmter Affront: »Die Beatles sind jetzt beliebter als Jesus.« Und zu O’Rears Glück nicht einmal halb so skandalös.
»Ich habe das Foto auf der ganzen Welt wiedergesehen. Im vorigen Jahr waren wir in Griechenland, und es war überall, im Hotel, auf den Fähren. Aber wenn ich den Leuten sage, dass ich das Bild gemacht habe, scheint sie das nicht mehr zu beeindrucken«, sagt O’Rear. Früher sei das anders gewesen. »Vielleicht ist es mittlerweile zu alt, ich weiß es nicht. Vielleicht wurde es einfach zu oft gesehen. Oder«, er hebt die Stimme in gespielter Empörung, »sie glauben mir nicht, dass ich das Foto gemacht habe.« Grüne Wiese, blauer Himmel, ein Wölklein hier und da – kann doch jeder mal eben knipsen, oder? Zur Not macht Photoshop Meisterfotografen aus uns allen.
Ein paar Jahre nachdem Microsoft das Bild gekauft hatte, riefen die Techniker Chuck O’Rear an. Sie hatten Wetten abgeschlossen, wo das Bild aufgenommen und ob es nachträglich von ihm bearbeitetet worden war. Die meisten hatten ihre Dollars auf »photoshopped« gesetzt. »Tut mir leid, Leute«, sagte O’Rear. »Das Bild ist echt.« Aufgenommen mit einer Mamiya RZ67, einer analogen Mittelformatkamera, auf Fuji Velvia. »Dem farbbrillantesten Film seiner Zeit. Es ist, wie es ist, völlig unbearbeitet.«
O’Rear fand die »Glückseligkeit« im Napa Valley nördlich von San Francisco, etwa dreißig Kilometer von seinem Haus entfernt. An einem Freitagnachmittag im Januar 1998, nach einem Wintergewitter. Er war, wie jeden Freitagnachmittag, auf dem Weg zu seiner Freundin. Fuhr auf dem Highway 121 gen Süden, passierte Weinberg um Weinberg. Und dann war er da plötzlich, der Hügel. Kein Wein. Stattdessen: grünstes Gras. Und dazu der Himmel, die Sonne. Perfekt. Die Wolken, sagt Chuck O’Rear, kamen vielleicht sogar erst, nachdem er die Kamera aufs Stativ gesetzt hatte.
»Es ist eine sehr friedvolle Gegend, wie Sie ja an dem Bild sehen.« Vor 35 Jahren hatte ihn das Magazin National Geographic für eine Wein-Reportage ins Napa Valley geschickt. Charles O’Rear, der schon so gut wie überall mit der Kamera unterwegs gewesen war, der alles gesehen und alles auf Film festgehalten hatte, der 500 Rollen Film pro Jahr verschoss, 15 000 Fotos, sah die grünen, »rollenden« Hügel, wie man im Englischen sagt, sah den weiten blauen Himmel, das unschlagbare Strahlen des Lichts und entschied: »Dies ist der schönste Ort der Welt.« Zwei Jahre später bezog er ein Haus im Valley. Er lebt dort noch immer.
»Das Wetter, die Szenerie und die Leute, ich liebe einfach alles hier. Wenn ich vor meine Tür trete und über die Weinberge sehe und die kleine Stadt in der Nähe, ach. Die Schönheit dieses Ortes, das Gefühl, das er einem gibt. Er ist alles, was man sich nur wünschen kann.« Hügel, Himmel, Wolken. So gewöhnlich und austauschbar diese Szenerie scheint: O’Rear sagt, er hätte das Bild nirgendwo anders aufnehmen können. Seine Stimme klingt, wie sein Bild aussieht. All seine Leidenschaft für den Ort, seine Liebe zu ihm liegt darin. Und vielleicht ist es ja gar nicht dem Kameraformat und auch nicht dem Filmmaterial zu verdanken, dass sein simples Bild so herausragend ist. Jedenfalls nicht nur.
Die Liebe und Leidenschaft sind geblieben, auch wenn der Ort sich verändert hat. Der grüne Hügel ist nun ein Weinberg. Und der Ort von Seligkeitssuchern überrannt. »Es leben jetzt zu viele Leute hier. Wir sind so nah an San Francisco und am Silicon Valley. Und Technologie ist heute ein Riesengeschäft.« O’Rear sieht es, Tag für Tag. An den Autos, die mittlerweile das Straßenbild seiner kleinen Stadt prägen. Und an den schicken, verwaisten Häusern, die nur an den Wochenenden belebt werden. »Fast die Hälfte der Häuser sind jetzt Wochenendhäuser. Weil es hier so schön ist und die Häuser den Leuten die Möglichkeit bieten, aus San Francisco herauszukommen. Wir sind ein Ziel für Leute mit sehr viel Geld.« Er ist froh, dass er früh genug hergekommen ist. »Heute könnte ich es mir nicht mehr leisten, ich bin ja nur ein Fotograf.«
Wie viel war Microsoft die Glückseligkeit wert? Er darf es nicht sagen. So viel ist bekannt: Als Microsoft 2001 das Bild im Archiv der Agentur Corbis fand, deren Eigentümer damals Bill Gates war, und unter Tausenden möglichen und unmöglichen Hintergründen für Windows XP auswählte, flogen sie den Fotografen O’Rear mit dem Originalfilm nach Seattle ein – der Film erschien ihnen zu wertvoll, um ihn einfach per Lieferdienst zu versenden. Es heißt, O’Rear habe eine »niedrige sechsstellige Summe« für das Bild bekommen. Und dass er sich heute wünschte, er hätte einen besseren Deal ausgehandelt. Zum Beispiel einen Cent für jeden, der sein Bild sieht. Wenn man davon ausgeht, dass tatsächlich »nur« die geschätzte eine Milliarde Menschen Bliss gesehen hat, wären das allein 10 000 000 Dollar – nur fair, wenn man in Microsoft-Dimensionen denkt. O’Rear lacht: »Tatsächlich bin ich zufrieden mit dem, was ich bekommen habe. Ich glaube, Microsoft hatte keine Vorstellung, wie lange das Bild auf Windows XP zu sehen sein würde« – nämlich ganze 13 Jahre lang. Seit Microsoft vor drei Jahren das Betriebssystem einstellte, ist das Bild von nahezu allen Bildschirmen verschwunden. Und damit aus der Welt.
»Es ist ein sehr schönes Bild – aber wer würde es sich an die Wand hängen wollen?« fragt O’Rear. Würde er nicht? »Ich habe eine kleine Version davon, aber das ist schon alles.« Für seine Wand, in Groß, wählte er ein anderes Bild: einen blassweißen Mond über den roten Dünen der Kalahari-Wüste. Es war die Hintergrund-Alternative auf Windows XP. Zweite Wahl, sozusagen. Gefällt es ihm besser? Er zögert. »Vielleicht mag ich es lieber, weil ich es nicht so oft gesehen habe?« Verflucht schwer zu sagen, was Glückseligkeit ist. Für einen Fotografen und überhaupt. Die Freundin, zu der Chuck O’Rear damals unterwegs war, ist immerhin seit Langem seine Frau.
Foto: Charles O'Rear; Porträt: Nick Stern; Illustration: Jill Senft