Gibt es da draußen noch Leben?

Es grenzt an ein Wunder, wenn man auf eine Kundenanfrage eine persönliche Antwort erhält – oder am anderen Ende der Servicehotline eine echte Stimme hört. Wann wird endlich das Gesetz zum Recht auf menschliche Ansprechpartner erlassen?

Verblüffende Erfahrung: Ein echter, lebendiger Berater hilft, die Waschmaschine wieder in Gang zu setzen.

Illustration: Lukas Eggert

Natürlich rechnet man damit, dass wieder nur eine Maschine antwortet. Ein Automat. Ein Bot. Aber hilft ja nichts, das neu gekaufte Telefon tut nicht so, wie es soll, es bleibt nichts anderes übrig, als eine Mail an den sogenannten »Support« zu schreiben. Man ist von Jahren des Ins-Nichts-Schreibens so weit runtergedimmt, dass man schon ahnt, da wird nur eine computergenerierte Standard-Antwort kommen – dann aber plötzlich das: »Danke für Ihre Mail, das kriegen wir schon hin. Versuchen Sie bitte mal die hier angefügte Tastenkombination, und schreiben Sie mir doch, ob es funktioniert.« Moment. »Das kriegen wir hin«? »Schreiben Sie mir doch«? Gibt es da draußen tatsächlich menschliches Leben?

Und tatsächlich, der Trick mit der Tastenkombination klappt, alles funktioniert, man schreibt also noch mal: Vielen Dank für die Beratung. Und plötzlich kommt eine weitere Mail zurück: »Es freut mich, dass ich Ihnen helfen konnte. Wie schön, auch mal von Kunden zu erfahren, wenn etwas klappt. Ich weiß das zu schätzen. Schönen Tag noch!«

Für einen Augenblick ist es, als hätten sich zwei Menschen an der Hand genommen und einander versichert: Wir sind nicht nur von Maschinen umgeben, da sitzen irgendwo hinter all diesen Maschinen auch Menschen, die sie bedienen und sich freuen, wenn sie sich gegenseitig helfen können.

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Dabei hatte man sich schon an die ewigen Wehklagen gewöhnt: Die moderne Welt ist so kalt. Wir reden nicht mehr miteinander. Schluchz. Jaja. Aber es ist halt auch was dran. Die Zahl der technischen Kommuni­kationsmöglichkeiten wächst zwar ständig, aber die Welt wird trotzdem immer anonymer.

Und sonst so, bei Ihnen zu Hause alles gut? Ganz selten entsteht sogar ein bisschen persönlicher Austausch.

Illustration: Lukas Eggert

Online-Formulare, Online-Einkäufe, FAQs, automatische Antworten. Praktisch? Vielleicht. Aber wer früher Schuhe im Schuhgeschäft gekauft hat, begegnete anderen Menschen, hat Gespräche geführt, Beratung er­halten, einen Tipp mit auf den Weg gekriegt. (Und sich vielleicht auf dem Heimweg noch ein Eis gekauft und mit dem Eisverkäufer ­geplaudert). Heute: Smartphone raus, App öffnen, Schuh anklicken, zwei Tage später steht das Paket vor der Tür. Niemand muss mit niemandem reden.

Schwierig wird’s nur, wenn dann doch mal was ist. Wenn man eben reden müsste. Weil bei den Schuhen etwas fehlt. Weil der neue Mixer nicht funktioniert. Weil das Paket seit Wochen nicht ankommt, man aber niemanden fragen kann, wo es bleibt – man kommt ja auf der Firmenwebsite oder beim Telefonroboter üblicherweise nicht mal bis zu dem Punkt, wo man zu irgendwem durchgestellt würde, mit dem man tatsächlich Fragen und Antworten austauschen könnte.

Bei vielen Handels- oder Kommunikationsunternehmen findet sich auf der Website keine einzige Telefonnummer und meistens nur eine sehr allgemeine Mailadresse (was natürlich exakt so gedacht ist, auf diese Weise erledigen sich viele Kundenfragen von selbst). Das Stichwort »Servicewüste« ist jetzt schon fast dreißig Jahre alt, es tauchte zum ersten Mal 1995 in einem Artikel auf. Aber seitdem hat die Entmenschlichung des Alltags den Turbo eingelegt.

Noch ein Beispiel aus der wahren Welt, erst wenige Wochen her: Auf der Website eines sogenannten Paketdienstleisters steht links eine Sendungsnummer und rechts die Aufforderung, diese Sendungsnummer in ein Feld einzutragen – beim Eintippen erscheint die Fehlermeldung »Diese Sendungsnum­mer ist unbekannt«. Stünde man jetzt mit einer Verkäuferin in einem Geschäft, würde man sich zusammen amüsieren und nach dem Fehler suchen. Aber die Maschine: pfff. Es bleibt einem nichts als eine Pseudo-­Unter­haltung mit einem Chatbot, der beharrlich angibt, die Nummer existiere nicht. Obwohl sie direkt daneben angezeigt wird.

Es ist zum Wahnsinnigwerden. Würde Kafka Das Schloss heute schreiben, er würde seinen Protagonisten K. durch eine endlose Welt anonymer Websites und Bots und No-reply-Mails jagen.

Gerade hat das EU-Parlament unter viel Beifall ein Recht auf Reparatur beschlossen. Damit sollen die hermetischen Systeme von Unternehmen wie Apple bekämpft werden, bei denen man gleich ein neues Gerät kaufen muss, nur weil der Akku kaputt ist und Laien ihn nicht selber austauschen können. Wer ein Gerät kauft, soll in Zukunft auch die Möglichkeit haben, es selbst reparieren zu können. Wäre es nicht ganz schön, wenn auch das Recht auf menschliche Ansprechpartner gesetzlich gesichert wäre?

§ 1: Wer ein Gerät kauft oder mietet, muss die Möglichkeit erhalten, bei technischen Fragen einen realen Menschen sprechen zu können, der weiterhilft.

Illustration: Lukas Eggert

Umso rührender, ach was, herzerwärmender, wenn man nach hundert Bots und Maschinendialogen überraschend auf Menschen trifft. Zum Beispiel, schon ein bisschen her, die freundliche Frau bei der Hotline (ja, man konnte anrufen!), die sagte, um den Router wieder hinzukriegen, solle man die Reset-Taste drücken und etwas warten – und dann fragte sie plötzlich in ganz mütterlichem ­Ton »Haben Sie schon alle Weihnachts­geschenke?« Auf die verdatterte Antwort, äh, nein, seufzte sie gutmütig, ach, es werde ja von Jahr zu Jahr schwieriger, ihr Sohn sei fast erwachsen, was soll man den jungen Leuten schenken, und überhaupt. Als nach drei Minuten ein paar Geschenketipps ausgetauscht waren, sagte sie vergnügt, so, jetzt müsste sich das Gerät resettet haben. Hatte es. Und an beiden Enden der Leitung standen ein paar neue Ideen auf der Geschenkeliste.

Oder die Beraterin bei der Möbelfirma, die auf die Frage nach der Lieferung ächzte, ja, sie habe auch immer Ärger mit den Paketdiensten, sie warte seit zwei Wochen vergeblich auf etwas, und eh man sichs versah, machten sich Anrufer und Call-Center-Mitarbeiterin gemeinsam ein bisschen Luft.

Oder die Kollegin, die neulich vor der kaputten Waschmaschine saß und nach langem Warten bei der Herstellerfirma tatsächlich einen Techniker erreichte, der mit verblüffend viel persönlichem Ehrgeiz eine halbe Stunde am Telefon Ratschläge gab, bis die Waschmaschine wieder lief.

Es gibt diese Momente. Sie sind verdammt selten. Aber wenn man sie erlebt, kann es sich anfühlen, als sei man nach Tagen in der Wüste auf einen Menschen getroffen. Man teilt sich Wasservorräte, man bespricht, in welche Richtung die nächste Oase liegen könnte. Man geht ein kurzes Stück gemeinsam. Und irgendwo am Horizont flimmern Buchstaben in der Sonne, die sagen: Du bist nicht allein.