SZ-Magazin: Herr Mazur, bald kommt ein Film in die Kinos, in dem Sie von George Clooney gespielt werden.
Robert Mazur: Hoffentlich! Seine Produktionsfirma hat die Filmrechte an meinem Buch The Infiltrator gekauft und arbeitet an einem Drehbuch. Ob Clooney auch die Hauptrolle übernehmen wird, ist leider noch unklar.
Ihr Buch wird als Meisterwerk gefeiert, auch weil Sie so lakonisch schreiben wie Raymond Chandler: Sie erzählen darin von Ihrer Arbeit als verdeckter Ermittler, der die Geldströme von Drogenkartellen untersucht. Sie lassen sich nicht fotografieren: Fürchten Sie sich vor Mördern?
In meinem Beruf ist es ratsam, sein Gesicht nicht zu zeigen. Anfang der Neunzigerjahre war bei Drogenkartellen sogar eine Prämie von 500 000 Dollar auf meinen Kopf ausgesetzt. Meine Kollegen und ich haben ein weltweites Netz von Geldwäschern zerstört, das für Drogenkartelle oder politische Machthaber gearbeitet hat: für den kolumbianischen Drogenboss Pablo Escobar etwa oder den ehemaligen Regierungschef Panamas, General Noriega. Aufgrund unserer Ermittlungen musste die internationale Großbank Bank of Credit and Commerce International schließen – seinerzeit siebtgrößte Privatbank der Welt mit 20 000 Angestellten und Filialen in über siebzig Ländern. Ein paar Leute sind also nicht so gut auf mich zu sprechen.
Wieso haben Sie ein Buch geschrieben, wenn Sie so gefährlich leben?
Ich hatte die Produzenten des Films Miami Vice beraten, und da sagte der Regisseur Michael Mann zu mir, dass er mein Leben verfilmen will: Aber ich müsste dafür alles aufschreiben.
Und jetzt ist Ihr Buch Pflichtlektüre für alle, die das organisierte Verbrechen bekämpfen. Ein gutes Gefühl?
Bis heute sind mein Team und ich die einzigen Ermittler, denen es gelungen ist, die Manager einer großen Bank jahrelang bei ihren kriminellen Handlungen zu beobachten. Ich glaube, deshalb ist dieses Buch so wichtig für alle, die kriminelle Kartelle untersuchen. Wir können den Terroristen, Drogen- oder Waffendealern,
Steuerhinterziehern und Menschenhändlern nur das Handwerk legen, wenn wir ihre Finanzströme unterbrechen. Wir müssen die Chefetagen krimineller Banken mit gut ausgebildeten Agenten unterwandern. Nur so bekommen wir Beweise.
War Undercover-Agent immer Ihr Traumjob?
Nein, das wurde ich per Zufall. Ich habe Wirtschaft und Buchhaltung in New York studiert und ein Praktikum bei der Steuerbehörde gemacht, in der Abteilung für Ermittlungen. Ich dachte, das sei ein langweiliger Erbsenzählerjob. Plötzlich habe ich mich in einer Elite-Abteilung wiedergefunden, die eng mit den Geheimdiensten und der Drogenbehörde zusammengearbeitet hat. Ich blieb dort elf Jahre. Dann bin ich zum Zoll nach Florida, wo ich mich meinem Lieblingsthema widmen konnte: Geldwäsche im Drogenhandel.
Eine wichtige Industrie in Florida.
Jeder Wolkenkratzer in Miami erinnert uns daran, wie erfolgreich diese Branche ist.
Und wie wurden Sie schließlich Undercover-Agent?
Bei der Steuerbehörde hatte ich ja schon viel mit Drogenfahndern zu tun, die als verdeckte Ermittler Kartelle unterwandert hatten. Etwa mit Tony Carpinella und Tommy Egan, die bei der Überführung eines der einflussreichsten Drogenhändler New Yorks mitarbeiteten: Frank Lucas, der in den Sechziger- und Siebzigerjahren besonders für die »Cadaver Connection« bekannt wurde, bei der er Heroin in Särgen mit toten Soldaten aus Vietnam in die USA geschmuggelt hat. Auf dieser Geschichte basiert der Film American Gangster. Von Joe Pistone habe ich viel gelernt, der sechs Jahre in einer der Mafia-Familien New Yorks eingeschleust war – sein Leben wurde unter dem Titel Donnie Brasco verfilmt. Aber wie man sich das Vertrauen von Gangstern erschleicht? Eine heikle Sache.
Ich nehme an, es hilft, gute Nerven zu haben.
Ja, man darf nicht ängstlich sein. Aber ich musste auch noch auf die Undercover-Schule in Washington, die alle verdeckten Ermittler besuchen müssen.
Es gibt eine Undercover-Schule? Bitte? Mit Klassenzimmern, in denen angehende Agenten voneinander abschreiben?
Stellen Sie sich das vor wie eine Schauspielschule. Zwei Dinge weiß ich noch aus dem Unterricht. Erstens: Du musst deine Identität selbst erfinden, du darfst dir vom Hauptquartier in Washington nicht helfen lassen. Nur so kennst du jedes Detail über
die Identität, die du annimmst. Außerdem schlampen die in Washington manchmal. Die zweite Regel: Deine falsche Identität darf sich nicht zu sehr von deinem wahren Charakter unterscheiden. Ich bin studierter Ökonom, verstehe also die wirtschaftliche Seite der Geldwäsche. Und ich sehe aus wie ein Buchhalter: wie jemand, der eher den Taschenrechner als die Pistole zückt. Also habe ich mir einen Partner gesucht, Emir Abreu, er hat die natürliche Aura eines Straßengangsters. Ohne ihn hätten uns die Ermittlungen nie so weit geführt: Er hat uns glaubwürdig gemacht.
Was muss man von Haus aus mitbringen für diesen Beruf und was kann man lernen?
Man kann den Beruf so wenig lernen wie den Beruf Künstler. Klar, das Handwerk können sie dir beibringen: Wie du mit Waffen umgehst, wie du in Notfällen reagierst. In der Realität kommt es aber auf Fingerspitzengefühl an.
Wie haben Sie sich getarnt?
Wir hatten bei einer Hausdurchsuchung halbfertige Papiere für 250 falsche Identitäten gefunden. In den Unterlagen habe ich einen »Robert Musella« entdeckt, der ein paar Jahre nach mir in New York geboren worden war – perfekt. Um glaubwürdig zu wirken, haben wir vom Zoll beschlagnahmte Yachten bekommen, Flugzeuge, Luxusapartments in Florida und New York, schnelle Autos und Dutzende Kreditkarten. Wir haben ein angeberisches Büro in Tampa gemietet und ein goldenes Schild angebracht: »Financial Consulting Inc«. Es hat ein Jahr gedauert, bis wir mit der Hilfe befreundeter Banker genug Scheinfirmen und Kontakte aufgebaut hatten, um Geldwäscher spielen zu können. Dann haben wir einen von Escobars Untergebenen eingeladen.
»Geldwäsche wird nie ganz verschwinden«
Wer war das?
Ein freundlicher Familienvater namens Gonzalo Mora. Wir haben ihn zu einem Wochenende nach New York eingeladen, in die Clubs dort. Ein angeblicher Cousin von mir ging mit, der angeblich Chef einer Investmentbank sein sollte. Mora hatte zu viel Bargeld und wusste nicht, wie er es nach Kolumbien schaffen sollte. Mein angeblicher Cousin und ich haben ihm einige Investment-Vorschläge gemacht, die ihm sofort gefielen.
Er war gar nicht misstrauisch?
Kaum. Erst zahlten wir für ihn kleine Beträge auf verschiedene Konten ein – bei Banken, die mit uns zusammengearbeitet haben. Bald hat er uns vertraut. Ein Jahr später haben wir Santiago Uribe getroffen, Escobars engsten Vertrauten und Anwalt.Hat nie jemand Verdacht geschöpft? Die Drogenkartelle unterhalten eigene Geheimdienste. Wir wurden ständig überwacht, aber wir waren vorsichtig und geduldig. Genauso wichtig war es, unsere Ermittlungen vor der Zentrale in Washington zu verheimlichen. Wenn die sich einmischen, kann das tödlich sein. Diese Genies hatten Emir und mir Pässe mit fortlaufenden Seriennummern und ohne ausländische Stempel ausgestellt. Unfassbar.
Wurde es auch mal gefährlich?
Ja, bei einer Geldübergabe in einem Hotel mit einem Kokain-Importeur, der bekannt dafür war, seine Kontrahenten mit Flammenwerfern zu foltern. Plötzlich höre ich von der anderen Seite der Lobby jemanden rufen: »Bobby!« Ein Geldwäscher, den ich Jahre zuvor in einem anderen Fall überführt hatte! Zum Glück war ich immer fair zu ihm. Ich habe ihn umarmt und ihm ins Ohr gezischt, dass ich wieder »under« bin. Er hat mitgemacht, und ich habe überlebt.
Und dann?
Ich bin dann auf die Bank of Commerce and Credit International gestoßen, sie hatte eine Filiale hier in Tampa eröffnet. Da frage ich nach einem Konto für unsere Geschäfte, habe ich mir gedacht, und ließ mir einen Termin beim Chef Syed Hussain geben. Ich kann heute noch nicht glauben, wie unverhohlen er mir erzählt hat, auf welche Weise die Bank in den Drogenmarkt Südamerikas expandieren will – er hat dort ein Potenzial von hundert Milliarden Dollar an illegalem Vermögen vermutet.
Die waren so leichtgläubig, nur, weil Sie nicht wussten, wohin mit Ihrem Geld?
So kann man das sagen.
Und das Tonband ist bei den Gesprächen mitgelaufen?
Ein Schweizer Gerät der Marke Nagra.
Wie viele Mitarbeiter und Informanten haben Sie gebraucht?
Es waren Hunderte. Aber wir hatten Tricks, um uns die Arbeit zu erleichtern. Zum Beispiel haben wir unseren Geschäftspartnern in Detroit gesagt, dass wir ihr Drogengeld nur in neuen Samsonite-Koffern annehmen würden. Wir wussten aber, in welchem Laden die ihre Koffer am liebsten einkauften. Jedes Mal, wenn dort jemand mehrere Samsonites abgeholt hat, hat uns der Boss des Ladens informiert. Dann wussten wir: In Detroit ist neues Geld eingetroffen.
Wann ließen Sie alle auffliegen?
Unsere Partner bei den Banken und den Drogenkartellen haben uns so sehr vertraut, dass sie zu meiner fingierten Hochzeit gekommen sind. Im »Innisbrook Resort & Golf Club«, einem Luxushotel in Tampa, hatte meine Kollegin Kathleen Erickson, die meine Braut spielte, eine Pool-Party organisiert. Alle waren da, mit ihren Familien: Drogenhändler, Banker. Wir haben achtzig Leute verhaftet – und das Fernsehen hat live übertragen.
Und dann haben Sie alle vor Gericht gebracht?
Es waren genügend Beweise da. Insgesamt hatten mein Team und ich fünf Jahre lang als Mittelsmänner zwischen Drogendealern und der Bank of Commerce and Credit International schmutziges Geld verschoben – etwa hundert Millionen Dollar. Wir hatten 2000 Gespräche zwischen den Bankern und Drogen-Handlangern auf Band.
Wann war Ihr Leben stärker gefährdet: während Ihrer Zeit als Undercover-Agent oder danach?
Nach den Festnahmen ist einem dieser Genies aus Washington in einer Fernsehsendung mein echter Name herausgerutscht und ich musste mit Frau und zwei Kindern zwei Jahre untertauchen.
Konnten Sie mit diesem Fall dazu beitragen, dass heute weniger Geld über amerikanische Banken gewaschen wird?
Leider scheinen die Regierungen kein Interesse zu haben, einzuschreiten. Wir wissen, dass zum Beispiel die amerikanische Großbank Wachovia 400 Milliarden Dollar aus Mexiko über ihre Konten geschleust hat: 14 Milliarden Dollar davon haben die in kleinen Scheinen per Lastwagen über die Grenze gefahren! Wachovia hat dafür kürzlich eine halbe Milliarde Dollar Strafe gezahlt, aber niemand musste in den Knast.
14 Milliarden Dollar in kleinen Scheinen?
Das sind etwa 725 Tonnen Papier, man braucht also vierzig große Panzerwagen.
Wie versteckt eine Bank so viel Bargeld?
Die haben große Tresore und eine Menge Konten, vor allem in der arabischen Welt, zwischen denen sie das Geld verschieben können.
Und bei der Bank will keiner was gewusst haben? Und auch bei der Polizei nicht?
Es gibt keine Unterlagen, sodass die Staatsanwaltschaft nichts nachweisen kann. Am Ende einigt man sich auf eine Geldstrafe, die einen Bruchteil der Profite ausmacht.
Damit kommen die Banken durch?
So generieren sie seit Jahrzehnten einen großen Teil ihrer Gewinne. Der Drogenhandel setzt derzeit pro Jahr etwa tausend Milliarden Dollar um. Mindestens noch einmal so viel Schwarzgeld stammt aus Menschenhandel, Waffenhandel, Steuerhinterziehung. Auch die amerikanische Regierung verschiebt Milliarden Dollar illegal – um etwa geheime Antiterror-Aktionen zu finanzieren. In jüngster Zeit mussten die Banken ABN Amro, Credit Suisse, Barclays, UBS, American Express, BankAtlantic jeweils mehrere hundert Millionen Dollar Strafe zahlen, weil sie die Herkunft von Milliarden Dollar nicht nachweisen konnten.
Kann man die weltweite Geldwäsche überhaupt stoppen?
Ganz verschwinden wird Geldwäsche nie, aber wir könnten es den Banken erschweren, an schmutzigem Geld zu verdienen.
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Robert Mazur, 1950 in New York geboren, begann 1972 seine Karriere als Ermittler für die Steuerbehörde IRS und wechselte 1983 zum Zoll. 1989 ließ er mit einer spektakulären Undercover-Operation einen internationalen Geldwäschering auffliegen. 1991 ging er zum FBI. Seit 1998 ist er Präsident einer Privatdetektei in Florida, die auf Geldwäsche spezialisiert ist. Außer dem Escobar-Fall wirkte Mazur an fünf langjährigen Ermittlungen mit. Er schreibt für Zeitungen, hält Vorträge, berät Staatsanwälte.
Foto: Phililip Toledano