Journalisten werden zu Recht abgemahnt, wenn sie in ihren Texten Taxifahrer zitieren oder mit Namen üble Scherze treiben. Deshalb unterbleibt hier der eigentlich gar nicht so schlechte Einstieg, dass in der Finanzkrise außer Derivaten, Zertifikaten und Subprimes auch die Primaten Henkel und Co. ihren Sinn verloren haben. Parallel zum Kurs der Aktien sank das Ansehen derer, die bislang in jeder erreichbaren Talkshow oder in veritablen Bestsellern, verfasst in dem ihnen eigenen Newspeak-Deutsch, als Weltendeuter auftraten. So gesehen ist der Mann, der sich lange ex cathedra für den »Seher in einem Meer von Blinden« (Spiegel Online über Hans-Werner Sinn) hielt, eine Nullnummer. Oder um einen Begriff aus der real vegetierenden Finanzwelt zu verwenden: ein Schrottpapier.
Er und Gleichgesinnte tragen jetzt nicht nur des Kaisers neue Kleider, was ja noch als Attraktion für ein Volksfest reichen würde, sie sind auch als bloße Feiglinge entlarvt. Kaum blickte ihnen die Krise fest ins Auge, senkten sie den Blick und schlugen sich, ihre neoliberalen Banner eingerollt, in die Büsche. Dort vergruben die Leitzinswölfe ihre bisheri-gen Maximen. Denen zufolge mussten, so oft gehört, gesetzliche Beschränkungen des ungezähmten Raubtier-Kapitalismus wie Kündigungsschutz, Mitbestimmung, Lohnfortzahlung bei Krankheit usw. als nicht mehr in die Zeit passende Überbleibsel des Ludwig-Erhard’-schen Menschenbildes entsorgt werden, um die Wirtschaft von Fesseln zu befreien und dadurch blühende Landschaften zu generieren. Der Markt würde es ohne den Staat richten. Was vom Markt angerichtet wurde, muss bekanntlich jetzt vom Staat gerichtet werden. Selbst Nischensender wie NeunLive wollen deshalb nichts mehr von den einst lautstarken Besserwissern wissen, und bei Buchverlagen verhungern sie in der Warteschleife. Auch wenn sie flugs die Seiten wechseln und fortan vor der Gier der anderen warnen wollen, ruft keiner mehr zurück. Hans-Werner Sinn fiel nur einmal noch auf, als er sich für einen an sich unentschuldbaren Vergleich entschuldigen musste. In seinem Weltbild, das man lieber nicht näher kennen möchte, entspricht die Kritik an den ungehemmt mit fremdem Geld zockenden Angebern in Nadelstreifen dem Antisemitismus der Dreißigerjahre in Deutschland.
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Bernd Ziesemer, Chefredakteur des Handelsblatt gibt den Kritikern auf subtilere Art Saures. Zum ersten Mal, sagte er, würden es »Neo-Sozialisten« wieder wagen, das Maul aufzumachen, nachdem sie »jahrelang in der Defensive waren«.
In Gefahr und Not bringt Mittelmaß bekanntlich den Tod. Für diese simple Erkenntnis braucht es aber keine Propheten. In derzeit täglich anschwellender Tristesse tröstet die von ihren Vermögen verlassenen Waisen nur die das Herz erwärmende Gewissheit, dass die Weisen, deren Hochmut zu Fall kam, ebenso abgewirtschaftet haben wie Herr Lehman und seine gierigen Brüder, egal unter welchem Namen sie weltweit agierten. Ihre Weisheiten entpuppten sich im Licht der Halbgötterverdämmerung als Leergeschäfte.
Für ihre Sprüche müssen die Propagandisten eines hemmungslos moralfreien Marktes nunmehr büßen. Das löst bei denen unten, die sie von oben herab jahrelang genervt haben, Freude aus, denn geteilte Freud ist doppelt Freud und geteiltes Leid nur noch halbes Leid. Ein gerade noch gefeierter sogenannter Querdenker wie Hans-Olaf Henkel liegt nur noch verquer zur Realität, wenn er in eitler Sorge um die Lage der Nation offene Briefe an die Kanzlerin schreibt. Angela Merkel lässt daraus allenfalls Peer Steinbrück Papierschwalben basteln, um ihr Kabinett zu erheitern.
Verloren haben viele, die schlecht beraten wurden, und viele, denen die Gier den Verstand raubte. Banker haben derzeit ein Ansehen wie Hütchenspieler. Was ungerecht ist, denn es gibt nach wie vor gute Banker, so wie es manche weise Wirtschaftsexperten gibt – Paul Krugman, Joseph Stiglitz –, aber das Leben ist selten gerecht.
Gewonnen dagegen haben die Politiker, die von den neoliberalen Radikalen in TV-Auftritten und Drucksachen – denn nicht alles, was zwischen zwei Deckel gedruckt wird, ist auch ein Buch! – als grauwertig, spießig und lahmentig geschmäht wurden. Deren Aktien stiegen in der Krise. Hätten ihre selbstherrlichen Kritiker früher öfter geschwiegen, könnten sie heute wenigstens als Philosophen auf Tournee gehen. Dafür ist es zu spät.
Friede ihrer Masche.
Eine Polemik von Michael Jürgs; Illustration: Onur Erbay