»Ich will niemanden murmeln hören: Da kommt der Ritter, der Lump!«

War die Ritter Sport GmbH Teil einer »Vierer-Gruppe«, in der Konkurrenten aus der Süßwaren-Industrie Preisabsprachen getroffen haben? Unternehmenschef Alfred Theodor Ritter hat die Strafe des Bundeskartellamtes über 7,8 Millionen Euro zwar akzeptiert, wehrt sich aber gegen die Anschuldigungen - er sieht sich als Opfer einer Behörden-Posse.

Oberhaupt der deutschen Schoko-Dynastie »Ritter Sport«: Alfred Theodor Ritter.

SZ-Magazin: Herr Ritter, ein Mitarbeiter hat vorhin von einem »Putzgüggle« gesprochen. Was ist das?
Alfred Theodor Ritter: Güggle ist schwäbisch und bedeutet Tüte. Früher durften unsere Putzangestellten nach dem Reinemachen in der Produktionsstätte die übrig gebliebenen Schokoladenreste in einer Tüte mit nach Hause nehmen. Irgendwann haben die Angestellten in der Verwaltung protestiert, weil sie nichts bekommen haben. Inzwischen ist es so, dass jeder Mitarbeiter am Freitagabend ein 300 bis 500 Gramm schweres Schokoladen-Güggle erhält.

Das ist sehr großzügig von Ihnen, Sie beschäftigen immerhin knapp 1000 Mitarbeiter, und Schwaben sind ja eigentlich bekannt für ihre Sparsamkeit.
Mag sein, aber das Putzgüggle hat bei uns Tradition. Das bleibt.

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Im vergangenen Jahr feierte Ritter Sport sein hundertjähriges Bestehen. Inzwischen gehört das Unternehmen in dritter Generation der Familie Ritter. Sind die Ritters eine deutsche Schoko-Dynastie?
Na ja, ich weiß nicht. Ab wie vielen Generationen spricht man denn von Dynastien?

Der Begriff ist zeitlich nicht genau definiert. Es geht eher um die Erbfolge. Und die ist Ihrer Familie ja über hundert Jahre gelungen.
Das stimmt. Das Unternehmen gehört heute zu gleichen Teilen meiner Familie und der meiner Schwester Marli Hoppe-Ritter. Auch die vierte Generation, also unsere Kinder, sind bereits Teilhaber. Insoweit: Okay, die Ritters sind eine deutsche Schoko-Dynastie.

Ihre Großmutter Clara erfand die quadratische Tafel, Ihr Vater Alfred Otto die bunten Verpackungen und den populären Slogan. Was wird von Ihnen bleiben, Herr Ritter?
Ich bin nicht darauf erpicht, Spuren in der Ewigkeit zu hinterlassen. Nichts hält ewig.

Die quadratischen Tafeln gibt es immerhin seit rund achtzig Jahren.
Ich gebe zu: Von mir kam nicht so viel Neues. Warum auch? Der Slogan, das Image, die Qualität haben immer gestimmt. Darauf waren und sind wir auch ein bisschen stolz.

Anfang des Jahres verhängte das Bundeskartellamt gegen elf Süßwarenhersteller – darunter Ritter Sport – Bußgelder über insgesamt sechzig Millionen Euro. Aus Sicht der Kartellwächter haben Sie im Jahr 2007 mit Konkurrenten erhöhte Preise für das Jahr 2008 abgesprochen und zudem über Jahre illegal Informationen untereinander ausgetauscht. Wie passt dies zum Image von Ritter Sport?
Das passt gar nicht zusammen. Die Anschuldigungen, die das Bundeskartellamt gegen uns erhoben hat, sind falsch und überzogen. Ich habe Deutschland als Industriestandort immer gelobt, aber beim Thema Rechtsstaat bin ich inzwischen leiser geworden. Was in den vergangenen Jahren alles passiert ist, könnte Ihr Magazin seitenweise füllen.

Haben Sie Anfang 2008 Preise mit der Konkurrenz abgesprochen, zum Beispiel mit »Milka« von Kraft Foods?
Definitiv: Nein. Wir haben auch sonst nichts getan, das unseren Kunden zum Nachteil gereicht. Das ist unsere felsenfeste Überzeugung – trotz des widersinnigen Bußgeldbescheides.

Andreas Mundt, der Bundeskartellamtspräsident, sagte im Januar über das »Schoko-Kartell«: »Statt einer unternehmerischen Lösung entschied man sich für ein illegales Vorgehen. Der Wettbewerb mit der Konkurrenz wurde kurzerhand ausgeschaltet und die Kunden mit abgesprochenen Preiserhöhungen belastet.« Eindeutiger geht es kaum. Warum nennen Sie den Bußgeldbescheid widersinnig?
Ganz einfach: Wir können mit Gummibärchen, Schokoriegeln oder sogenannten Small Bites wie zum Beispiel »Smarties« keine Preise absprechen, weil wir nicht im selben Markt agieren. Trotzdem wurde uns das unterstellt.

Das Bundeskartellamt sagt, Sie wären mit der Mars GmbH, Nestlé Kaffee & Schokoladen GmbH und Haribo Teil einer »Vierer-Runde« gewesen, die sich im Rahmen eines regelmäßigen Gesprächskreises über Preiserhöhungen für Schokoprodukte abgestimmt hat. Eindeutiges Indiz für die Absprache sei der Zeitpunkt gewesen. Alle Unternehmen hätten Anfang des Jahres 2008 gemeinsam die Preise erhöht.
Als die Preise für Kakao und andere Rohstoffe gestiegen sind, mussten viele Süßwarenhersteller die Preise erhöhen. Warum? Weil sie überwiegend kalendarische Jahresverträge mit dem Handel haben. Nur bei den Gummibärchen wurden die Preise nicht erhöht. Warum? In denen steckt kein Kakao. Der Witz ist ja: Wir waren die Einzigen, die die Preise wirklich stark angehoben haben, um bis zu 25 Prozent, weil wir zeitgleich eine lange geplante Qualitätsverbesserung sämtlicher Rezepturen umgesetzt hatten. »Milka« hat sie nur ein wenig erhöht, die waren bei diesen Gesprächen der Vierer-Runde aber gar nicht anwesend. Mars hat ebenfalls nur minimal erhöht, weil auch die keinen so großen Kakaoanteil in ihren Riegeln haben.

»Deutschland ist ein 100-Gramm-Land.«

(Foto:dapd)

Sie streiten weiter alle Anschuldigungen ab?
Wie gesagt: Preisabsprachen zwischen Gummibärchen und Tafelschokolade kann es gar nicht geben, weil wir – zum Beispiel mit Haribo – nicht im selben Markt agieren. Wir haben auch nicht mit Konkurrenten in Hinterzimmern gesessen. Diese Treffen waren alles andere als geheim, man traf sich offiziell mit Einladung und Tagesordnung. Und letztlich: In Deutschland wird der Handel von fünf großen Ketten dominiert: Edeka, Rewe, Metro, Lidl und Aldi. Nehmen wir als Beispiel Edeka, Deutschlands größte Einzelhandelskette, um das mal zu veranschaulichen: Der Anteil von Ritter Sport am Umsatz von Edeka beträgt 0,018 Prozent. Und wir sollen denen die Preise diktiert haben? Absurd!

Wie kam das Verfahren des Bundeskartellamts zum sogenannten »Schoko-Kartell« eigentlich ins Rollen?

Das kann ich Ihnen erklären: Mars hatte 2007 in Nordamerika ein Kartellverfahren am Hals. Die Mars-Geschäftsführung hat sich damals entschieden, jeden einzelnen Gesprächskreis anzugeben, an dem das Unternehmen je beteiligt war. Nicht nur in Nordamerika, sondern weltweit. Die haben sich prophylaktisch auch in Ländern selbst angezeigt, in denen gar kein Verfahren gegen sie lief, also auch beim Bundeskartellamt in Bonn. Einer jener Gesprächskreise war der unsere. »Vierer-Runde« hört sich natürlich konspirativ an, aber daran war gar nichts konspirativ. Gegründet wurde die Vierer-Runde zur Optimierung der Vertriebswege.

Das bedeutet was?

Es ging um Fragen der Kleinverkaufsstellen: Wie kann ich den Dorf-Kiosk im Ruhrgebiet oder das Lädchen in Frankfurt/Oder kostendeckend beliefern?

Warum mussten Sie solche Gespräche mit der Konkurrenz führen?
Ganz einfach: Unser Lkw kann diese Umwege nicht fahren, das würde den Preis für eine Tafel Schokolade auf fast zwei Euro steigen lassen. Deshalb haben wir uns zusammengesetzt. Um Kosten zu senken. Zuerst war es sogar nur eine Zweierrunde – Nestlé und wir. Diese Zweierrunde haben wir sogar vom Kartellamt prüfen lassen, und die haben uns damals gesagt, das wäre in Ordnung. Dann haben wir aber gemerkt, zu zweit kriegen wir es auch nicht kostendeckend hin, also hat man den Gesprächskreis erweitert – um Gummibärchen und Riegel. Wir haben bewusst keine direkten Wettbewerber ausgewählt. Mit einem Kartell hatte dies somit rein gar nichts zu tun.

Während die anderen beschuldigten Süßwarenhersteller das Bußgeld jedoch akzeptierten, wollten Sie nicht zahlen und Einspruch einlegen. Warum?
Wie kommen Sie denn darauf, dass alle das Bußgeld akzeptieren wollten? Einige andere Unternehmen haben ebenfalls Einspruch eingelegt. Schauen Sie, das Verfahren hat sich über Jahre gezogen. Ständig stand in den Medien das böse Wort vom angeblichen »Schoko-Kartell«. Und wenn ein Unternehmen mit miesen Schlagzeilen immer wie-
der im medialen Fokus steht, ist das schlecht fürs Geschäft. Man muss dann rational abwägen: Fechte ich den Bußgeldbescheid an und riskiere einen jahrelangen Rechtsstreit mit unsicherem Ausgang oder zahle ich zähneknirschend die Strafe und beende dieses unrühmliche Kapitel?

Wie hoch war das Bußgeld letztlich, das Sie nach der Einspruchsrücknahme gezahlt haben?
7,5 Millionen plus Zinsen, etwa 7,8 Millionen Euro habe ich überweisen müssen.

Sie klingen immer noch sehr verärgert.

Das bin ich auch! Wer bleibt denn ruhig und gelassen, wenn der Chef des Bundeskartellamts dazu auch noch öffentlich falsche Behauptungen verbreiten darf, wie es ihm gerade gefällt?

Sie meinen den Kartellamtspräsidenten Andreas Mundt?
Ja.

Wann und wo soll Herr Mundt falsche Behauptungen verbreitet haben?
Das war in der SWR-Sendung Marktcheck im März dieses Jahres. Da hat er sich vor laufender Kamera zur Äußerung verstiegen, es sei auch darum gegangen, den Verpackungsinhalt zu verkleinern, ohne dies den Kunden zu kommunizieren. Das war quasi das i-Tüpfelchen der gesamten Farce, die da stattgefunden hat. Nicht einmal seine eigene Behörde erhebt diesen Vorwurf gegen uns. Weder im gesamten Verfahren noch im Bußgeldbescheid war davon jemals die Rede. Aber Herr Mundt behauptet das öffentlich im Fernsehen.

Haben Sie den Verpackungsinhalt verkleinert?
Nein. Deutschland ist 100-Gramm-Land.

Sind Sie gegen diese Behauptung vorgegangen?

Wir haben uns beim Wirtschaftsministerium beschwert, die haben uns an das Kartellamt zurückverwiesen. Herr Mundt behauptete aber, sein Zitat sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Dabei ist der Beitrag heute noch im Netz abrufbar. Da kann man den gesamten Wortlaut von Anfang bis Ende verfolgen.

Sie fühlen sich vom Amt drangsaliert?
Mehr als das: Das ist nichts anderes als Rufschädigung. Aber das ist noch nicht mal das Ende der Fahnenstange. Das Amt hatte uns bereits zuvor die Pistole auf die Brust gesetzt, weil wir uns geweigert hatten, eine Geldbuße als sogenanntes Settlement anzunehmen.

Das Bundeskartellamt hat Sie erpresst?

Wir wurden vom Bundeskartellamt massiv unter Druck gesetzt, einen Betrag zu bezahlen, der mehr als doppelt so hoch war, wie letztlich im Bußgeldbescheid festgesetzt. Man sagte uns: Entweder ihr akzeptiert innerhalb von zehn Tagen einen Betrag von rund 17 Millionen Euro oder wir verhängen eine deutlich höhere Geldbuße, die bis zu doppelt so hoch sein wird.

Vorhin war noch von 7,8 Millionen die Rede. Wie kommen Sie nun auf 17?
7,8 Millionen war der Betrag, der sich letztlich aus dem Bußgeldbescheid ergeben hat. Während das Verfahren aber noch lief, hieß es aus dem Bundeskartellamt: Entweder ihr sagt Ja zu 17 Millionen Euro Bußgeld oder wir erhöhen es auf bis zu 34 Millionen Euro. 34 Millionen! Das hätte die Firma an den Rand des Ruins gebracht.

Herr Ritter, haben Ihre Angestellten bei Ihnen nachgefragt, was da eigentlich los ist?
Natürlich. Innerbetrieblich war das ein Riesenthema. Die Mitarbeiter wollten wissen, ob sie hier in einem Verbrecherbetrieb arbeiten. Ich habe mich vor die Belegschaft gestellt und gesagt, dass wir nichts Illegales unternommen haben.

Keine schöne Situation.
Ganz und gar nicht. Sie bekommen diesen Schandfleck nicht reingewaschen. Selbst die eigenen Leute denken insgeheim: Herr Ritter hat zwar etwas anderes behauptet, aber irgendetwas wird schon dran sein. Und wer will ihnen das verdenken? Deshalb ist das alles für mich auch sehr zermürbend. Wir werden hier eindeutig von einer staatlichen Behörde beschädigt.

Aus dem Bundeskartellamt ist zu hören, dass ein weiteres Verfahren im Gang ist, das Süßwarenhersteller und unter anderem auch Ritter Sport im Fokus hat. Es soll angeblich erneut um Absprachen über Endverkaufspreise zwischen Herstellern von Markenprodukten und Handelsketten gehen. Haben Sie auch davon gehört?
Dazu kann ich im Moment nichts Konkretes sagen. Wir wissen nur, dass es ein weiteres Verfahren gibt. Aber was jetzt schon feststeht: Die Firma wird lahmgelegt, weil die Bedrohung durch dieses neue Verfahren wie ein Damoklesschwert über uns hängt. Wir können nicht in die Zukunft des Unternehmens investieren.

Steht es schlecht um Ritter Sport?
Nein, das nicht. Aber ich dachte immer, wir stehen in Konkurrenz zu Mitbewerbern in einem eng umzäunten Markt, ich dachte, der Wettbewerb mit dem Handel ist schon hart genug. Doch dass uns von einer staatlichen Behörde Gefahr droht, so weit ging meine Vorstellungskraft nie.

Worin wollen Sie Kapital investieren und können nicht?

Zum einen in Nicaragua, wo wir für den Kakaoanbau Land aufgekauft haben, um uns mittelfristig von den stark schwankenden Rohstoffpreisen unabhängiger zu machen. Zum anderen würden wir gern unsere Produktionsstätte in Waldenbuch vergrößern und neue Arbeitsplätze schaffen. Wir haben dafür schon ein Gelände gekauft. Rund zwanzig Millionen Euro über mehrere Jahre wollen wir investieren. Aber diese Investitionen werden jetzt vielleicht ausbleiben, weil wir nie sicher sein können, was seitens dieser Behörde noch auf uns zukommt. Wir wissen schlicht nicht, wie viel Geld wir zur Verfügung haben.

Sie waren 1997 Öko-Manager des Jahres, sind Träger des Bundesverdienstkreuzes. Wie sehr trifft es Sie persönlich, dass Sie Teil der Berichterstattung über das »Schoko-Kartell« sind?
Es trifft mich fundamental, auch wenn gegen mich kein persönlicher Vorwurf erhoben ist. Ich habe ein Stück Achtung vor meinem Land verloren. Von meinem Vater habe ich gelernt, dass sich anständiges Verhalten immer auszahlt: Wer Positives bewirkt, erhält Positives zurück. Das war immer die Basis meiner persönlichen Wertvorstellungen. Dass wir jetzt aber quasi wie verlogene Verbrecher behandelt werden, ist …

Ihnen fehlen die Worte.
Ich habe ein reines Gewissen und möchte erhobenen Hauptes durch meinen Heimatort Waldenbuch gehen können. Ich will auf der anderen Straßenseite niemanden murmeln hören: Ah, da kommt der Ritter, der Lump!

Sie zahlen Kakaobauern-Kooperativen in Nicaragua freiwillig einen deutlich höheren Preis für den Kakao, nutzen am Firmensitz lediglich Ökostrom – das ist ja Ausdruck einer respektablen Haltung, die nun im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung steht. Sehen Sie die Schoko-Dynastie der Ritters gefährdet?
Ritter Sport war, ist und wird immer ein Familienunternehmen bleiben. Weder meine Schwester und ihre Kinder noch irgendjemand in meiner Familie führt ein Leben in Saus und Braus, keiner von uns ist besonders anspruchsvoll. Wir haben keine Aktionäre, die wir bedienen müssen. Deshalb ist der Gewinn auch immer in den Betrieb zurückgeflossen. So gelang der Aufbau des Unternehmens über hundert Jahre. Jetzt müssen wir enger zusammenrücken und diesen ungerechtfertigten Aderlass erst einmal verkraften.

Foto: Rafael Krötz; Illustration: Mike Perry