»In der Suchttherapie hat eine Art Täter-Opfer-Umkehrung stattgefunden«

Millionen von Menschen in Deutschland sind co-abhängig – also als Angehörige oder Freunde in die Suchtkrankheit eines anderen Menschen verstrickt. Der Psychotherapeut Jens Flassbeck erklärt, woran man die eigene Co-Abhängigkeit erkennt und wie man sich aus ihr lösen oder Betroffenen helfen kann.

Von Co-Abhängigkeit betroffen sind nicht nur, aber sehr häufig Frauen.

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SZ-Magazin: Herr Flassbeck, Sie bezeichnen das System aus Sucht und Co-Abhängigkeit als größtes psychosoziales Problem unserer westlichen Gesellschaft. Was heißt das in Zahlen?
Jens Flassbeck:
Das lässt sich nur schätzen, da bislang keine offiziellen Daten dazu erhoben worden sind. Aber wir wissen, dass es ungefähr drei Millionen Kinder und fünf bis sechs Millionen erwachsene Kinder aus Suchtfamilien gibt, von denen 30 Prozent als Folge ihrer belasteten Biografie psychisch erkranken. Schätzungen zu betroffenen Partnern und Eltern gibt es nicht. Man nimmt aber an, dass etwa fünf Millionen suchtkranke Menschen in Deutschland leben, und die  klinische und therapeutische Erfahrung haben mir gezeigt, dass die meisten Suchtkranken Angehörige haben, die in die Sucht verstrickt sind. Man kann also davon ausgehen, dass dieses Problem viele Millionen Menschen betrifft, die so gut wie keine Beachtung oder Hilfe finden.