Im Revier der Füchse

Was ist das für ein Heft, das jeden Freitag der Süddeutschen Zeitung beiliegt? Chefredakteur Dominik Wichmann über die besondere Art des Journalismus, der beim SZ-Magazin gepflegt wird.

    Eigentlich passt es nicht so recht zum SZ-Magazin, ein Heft voller Erinnerungen an sich selbst zu machen. Eigentlich mögen wir das nicht, das Zurückschauen, das Blättern in längst vergangenen Ausgaben, das Auswählen zwischen weniger guten und sehr guten Geschichten, Titelbildern, Fotos und Interviews. Da schwingt die Angst mit vor zu viel Wehmut und die berechtigte Sorge, unser Heft wichtiger zu nehmen, als es in Wirklichkeit ist.
    Deshalb ist dieses Heft, das da gerade vor Ihnen liegt, auch kein normales Heft. Es hat keinen Anfang und kein Ende, es ist nicht chronologisch sortiert und auch kein Sammelsurium mit Erinnerungen an eine gute alte Zeit. Es ist herrlich unvollständig, es vernachlässigt, ignoriert und übertreibt. Es versammelt die Geschichten einiger Menschen, die im Laufe der letzten zwanzig Jahre in unserem Heft vorgekommen sind – und erzählt, was aus ihnen geworden ist: den Menschen und den Geschichten. Dieses Heft versucht also, ein Phänomen einzufangen, jenen Esprit, den viele Leser unseres Heftes immer wieder mit den Worten »typisch SZ-Magazin« umschreiben.

    »Typisch SZ-Magazin« ist der Wunsch, eine Geschichte weiter zu denken als nur bis zu ihrem vermeintlichen Ende; es ist der Versuch, mit Bildern und mit Worten das Gewohnte zu hinterfragen; es ist das Streben, die Leser Woche für Woche zu überraschen. Unsere Themenkonferenz, die Keimzelle aller Ideen und Inspirationen, beginnen wir deshalb nicht mit der Frage: »Was ist passiert?«, sondern mit der Frage: »Was hat uns bewegt?« Und so haben die besten Geschichten des SZ-Magazins ihren Anfang eher selten in einer dpa-Meldung genommen, sondern im Idealfall mit einer Beobachtung im Freundeskreis.

    Die Recherche für eine typische SZ-Magazin-Story beginnt also immer auch im Leben und Befinden unserer Mitarbeiter. Zum Beispiel sagte vor einigen Jahren eine Kollegin in der Themenkonferenz: »Neulich war ich zufällig am Marienplatz und da habe ich mich gefragt, was diese vielen japanischen Touristen eigentlich den ganzen Tag so fotografieren.« Die versammelte Runde hat erst gelacht, dann überlegt und schließlich ein Thema beschlossen: Wir kaufen den Japanern ihre Filme ab und sehen einfach mal nach. Herausgekommen ist eine Fotogeschichte, die anschließend unzählige Male prämiert wurde. In den frühen Fünfzigern, da gab es das SZ-Magazin noch längst nicht und unser Mutterschiff, die Süddeutsche Zeitung, auch erst seit ein paar Jahren, da traf der Philosoph Isaiah Berlin seine legendär gewordene Unterscheidung zwischen zwei Arten von Denkern: dem Igel und dem Fuchs. Die Igel unter den Denkern betrachten die Welt gern durch die Brille ihrer Weltanschauung. Die Füchse hingegen streunen durch die Welt und lassen sich begeistern von ganz unterschiedlichen Eindrücken. Mal dies, mal das. Platon war ein Igel; Aristoteles ein Fuchs. Die Igel unter den Medien kennen wir alle und schätzen sie für ihre starken, unerschütterlichen Meinungen und Sichtweisen.

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    Das SZ-Magazin aber gehört zu den Füchsen. Es folgt keiner Ideologie und keiner fest gefügten Meinung, sondern nur seiner Neugier. Es schnürt durch unseren Alltag, flitzt von der Politik zur Mode und von der Mode weiter bis nach Hollywood, rastet in kleinen Hotels in Norditalien, springt aufs Parkett der Börsen, huscht vorbei an den Prominenten, scheut den Schoß der Mächtigen und schmiegt sich an den Mantelsaum normaler Menschen. Immer und immer wieder freitags.

    Arbeit ist das eigentlich alles nicht. Eher ein Spiel. Oft unglaublich anstrengend, doch fast immer traumhaft schön. In Schillers Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen findet sich der Satz, wonach der Mensch nur spiele, »wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist. Und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.«

    Sie, liebe Leserinnen und Leser, haben mit Ihrer Treue und Unterstützung uns das alles erst ermöglicht: dieses Spielen, dieses Menschsein. Vielen Dank!
    Kommen Sie nun mit auf unseren Spielplatz. Sehen Sie sich die Neunziger- und die Nullerjahre noch mal an. Vielleicht erinnern Sie sich dabei auch manchmal an sich selbst. Gehen wir gemeinsam den Weg zurück nach vorn.