Die Piratenüberfälle in letzter Zeit haben mich an einen Brief von Leserin B. aus Flensburg erinnert. B. segelt viel mit ihrem Mann, oft sind Familien von Freunden dabei, einmal auch die fünfjährige Chiara, die beim gemeinsamen Singen folgendermaßen in den Text eines Seeräuber-Songs einstimmte: »Alle, die mit uns auf Körperfahrt fahren, müssen Männer mit Bärten sein.«
Natürlich hat das Missverständnis entscheidend damit zu tun, dass sich keine Fünfjährige vorstellen kann, was eine Kaperfahrt ist. Wer weiß das schon noch? Den modernen Kaperfahrern fehlt ja alles, was (wie wir in unserer Kindheit lernten) zu einem anständigen Piraten gehört. Weder heißen sie Jan, Klaas, Hein oder Pit, noch tragen sie Bärte, Augenklappen oder Holzbeine – das ist sehr enttäuschend. Auch hat meiner Auffassung nach ein Pirat sich mit Goldschätzen zu beschäftigen, nicht mit Öltankern oder Weizendampfern. Wo möchte er denn diese vergraben, um für spätere Generationen eine Schatzkarte anzufertigen? Das hat alles nicht das Niveau von früher. Doch das Wort »Körperfahrt« sollten wir uns merken. Frau B. schreibt mir, sie habe sich »bärtige Seemänner mit ziemlich ansehnlichen Körpern« vorgestellt. Aber müssen wir nicht, da wir von der Fantasie eines unschuldigen Kindes ausgehen, den Begriff weiter fassen, vielleicht auch gelöst vom Liedtext, ja, über diesen hinausweisend? Man hat das Leben schon immer als Seelenreise verstanden, aber hier wird uns durch die plötzlich-schiere Existenz des Begriffs vor Augen geführt, dass es auch eine Körperfahrt ist.
Einen ähnlichen Banalisierungsprozess wie der Piratenberuf hat die Tätigkeit des Astronauten durchlaufen. Kaum hatten wir kürzlich erfahren, dass die NASA in der Raumstation ISS eine Anlage installieren möchte, mit deren Hilfe sich aus Astronauten-Urin Trinkwasser gewinnen lässt, da hieß es, die Raumfahrerin Heide Stefanyshyn-Piper habe (im Urinrausch?) bei Außenarbeiten eine Tasche verloren, die unter anderem eine Fettpresse enthielt.
(Dass fremde Intelligenzen als erste Botschaft der Erde eine ins All entschwebte Mehrzweckhebelfettpresse in ihren schleimigen grünen Händen halten? Was werden diese Wesen von uns denken?)
Bitte, wir reden hier vom Beruf des Mondfliegers, vielleicht das Größte, was ein Mensch auf seiner Körperfahrt erreichen kann – und nun werden am unendlichen Himmelszelt Schmiernippel mit Fettpressen geölt?! War es das, was wir wollten, als wir Armstrong und Aldrin zum Mond schickten? Dass fremde Intelligenzen als erste Botschaft der Erde eine ins All entschwebte Mehrzweckhebelfettpresse in ihren schleimigen grünen Händen halten? Was werden diese Wesen von uns denken? Wofür werden sie das Gerät halten? Für eine Waffe? Eine Erdlings-Pistole? Kann man sich das schmatzende Lachen vorstellen, mit dem sie auf den Fettpressenhebel drücken, sodass dem Gerät in blödester Weise Schmierfett entquillt – und wie sie dann grölend und mit einem einzigen Feuerstoß aus dem Superionenkontaminator uns alle zu Staub machen?
Leserin S. schrieb, sie habe im Alter von sechs Jahren mit anderen Kindern im Garten eines Kinderheimes gesessen. Man habe darüber gesprochen, was die jeweiligen Eltern von Beruf seien. Ein Junge habe berichtet, seine Mutter sei Raumfliegerin. S. schreibt: »Oh, ich war voller Bewunderung. Eine Mutter zu haben, die Raumfliegerin war! Wie ich diesen kleinen Jungen beneidete. Aber gleichzeitig wunderte ich mich darüber, dass dieser Junge in einem städtischen Kinderheim war. Seine Mutter war doch Raumfliegerin! Ich erklärte es mir damit, dass seine Mutter wohl zur Zeit im Raum fliegt und deshalb keine Zeit für ihren Jungen hatte. Es vergingen Tage der Bewunderung und des Neides, bis mich ein Betreuer aufklärte, dass es sich bei der Raumpflegerin um eine Putzfrau handelte.«
Dachte nicht vielleicht auch der Junge selbst, seine Muter sei Raumfliegerin und blicke stolz aus dem All auf ihn herunter, wie er seinen Alltag im Kinderheim meistere (bevor sie mit ihrer Fettpresse weiter den Weltraum pflegte)?
Illustration: Dirk Schmidt